Dobrindt gibt Gas – politisch motivierte Überwachungsmaßnahmen durchgepeitscht

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Der Neo-Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte nunmehr die massenhafte Speicherung aller IP-Adressen und Portnummern an.Sein Haus jedoch schweigt beharrlich betreffend der Frage, wie das mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs überhaupt möglich sein solle und welche Belastung auf Unternehmen und Gesellschaft nun zukommen würden.Keine Zeit verlorenDer neue Bundesinnenminister hat diesbezüglich wohl keine Zeit verloren. Erst kurze Zeit im Amt, kündigte er gleich mehrere politische Überwachungsvorhaben an, bei denen er offenbar Schwerpunkte setzen will. Dazu gehört für Alexander Dobrindt (CSU) aber vorrangig auch die Vorratsdatenspeicherung, wie auch netzpolitik.org berichtet hatte.Am 16. Mai 2025 hatte er in der Aussprache zur Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz im Bundestag angekündigt, Telekommunikationsdienste-Anbieter die Speicherung aller IP-Adressen vorschreiben zu wollen, „um schwere Kriminalität zu bekämpfen“. So hatten es die drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD eben im Koalitionsvertrag verabredet. Die Vorratsdatenspeicherung soll demnach IP-Adressen und Portnummern umfassen und für drei Monate verpflichtend werden.Er wolle „den Werkzeugkasten“ von Polizei und Geheimdiensten „deutlich erweitern“, sagte Dobrindt. Bei schwerer Kriminalität seien IP-Adressen „oft der einzige Ermittlungsansatz“, erklärte der Neo-Innenminister. Diese, alle Internetnutzer betreffende Datenspeicherung ohne konkreten Anlass solle dann angeblich den Ermittlungsbehörden helfen.Dobrindt kündigte zugleich in enger Anlehnung an den Koalitionsvertrag an, der Bundespolizei die Nutzung von Staatstrojanern („Quellen-TKÜ“) zu ermöglichen und die Befugnisse der Geheimdienste auszuweiten, insbesondere beim Datenaustausch. Zudem plant er, mit „Künstlicher Intelligenz“ große Datenmengen „effizienter auszuwerten“. Gemeint ist damit die automatisierte Datenanalyse über die riesigen Polizeidatenbestände hinweg.Keine Wissenschaftlichen BelegeDie Vorratsdatenspeicherung wird in Deutschland noch nicht praktiziert. Daher wurde das Bundesministerium des Innern, die SPD und die demokratischen Oppositionsparteien im Bundestag befragt, ob sich die Erkenntnislage nach mehr als zwei Jahrzehnten Streit um diese Form der Massenüberwachung verändert hätte. Mittlerweile sind jedoch wissenschaftliche Untersuchungen aus Europa bekannt, die angeblich belegen, dass die anlasslose Speicherung von IP-Adressen und Portnummern der polizeilichen Ermittlungsarbeit bei schwerer Kriminalität helfen sollten.Keine Stellungnahme seitens MinisteriumsEine Sprecherin des Bundesinnenministeriums antwortete auf diese und mehrere weitere Fragen von netzpolitik.org nicht. Man befinde sich derzeit „in ressortübergreifenden Abstimmungen zur Umsetzung des Koalitionsvertrages“. Die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs bei der Einführung der IP-Adressen-Speicherpflicht sollten berücksichtigt und eine verhältnismäßige und europa- und verfassungsrechtskonforme Regelung geschaffen werden, erklärte die Sprecherin.Die Opposition hat dazu allerdings deutlich mehr zu sagen. Innenpolitikexperte Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, macht auf Nachfrage von netzpolitik.org deutlich, dass ihm „kein wissenschaftlicher Nachweis“ bekannt sei, der Dobrindts „sicherheitspolitische Heilsversprechen belegen könnte“. Das gelte auch für diejenigen europäischen Länder, in denen IP-Adressen und Portnummern anlasslos gespeichert werden müssten.Die Wiedereinführung der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung sei das „Faxgerät unter den Überwachungsmaßnahmen“ und dennoch seit vielen Jahren immer das Erste, was der Union einfiele, „wenn man Entschlossenheit suggerieren möchte“, so von Notz. Wer aber „in derart großem Stil in die Freiheitsrechte seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen möchte“, der müsse auch nachweisen können, dass sich dieser Eingriff lohnt und dass er verhältnismäßig ist. Die vielzitierte wissenschaftliche Untersuchung des Max-Planck-Instituts aus dem Jahr 2012 aber zeige, „dass die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten nicht zu höheren Aufklärungsquoten bei schweren Verbrechen führt“.„Nur absolut Notwendiges“Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Dauer einer anlasslosen Speicherung von IP-Adressen „auf das absolut Notwendige“ beschränkt. Auf die Frage, ob die drei Monate, die im Koalitionsvertrag als Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern vereinbart wurden, aus Sicht des Bundesinnenministeriums „das absolut Notwendige“ seien, antwortet Dobrindts Haus nicht.Zu Bedenken gibt von Notz hingegen, dass eine dreimonatige Speicherdauer sogar aus Sicht von Ermittlern überzogen sei: „Selbst das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass die Erfolgsquote oberhalb einer Speicherdauer von zwei bis drei Wochen ‚nicht mehr signifikant‘ ansteigt.“ Die vorgesehenen drei Monate seien daher mit der Vorgabe des EuGH, die Speicherung auf den absolut notwendigen Zeitraum zu begrenzen, und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit „nicht vereinbar“.Clara Bünger antwortet für die Partei Die Linke ebenfalls mit Verweis auf das BKA. Eine einmonatige Speicherfrist würde nach BKA-Angaben in neunzig Prozent der Fälle zur Identifikation bereits ausreichen. Bei einer schnellen Reaktion von Polizei und Strafverfolgungsbehörden reichten „auch heute meist schon die von den Providern aus Sicherheitsgründen für etwa sieben Tage gespeicherten IP-Adressen“.Bünger gibt auf die Frage nach Belegen durch wissenschaftliche Untersuchungen an, dass keine neueren Studien bekannt seien, die den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung bei schweren Straftaten belegen würden. Sie erklärt, „das von Sicherheitsbehörden hierzu produzierte Wissen ist oft eher anekdotischer Natur“. Gar nicht in den Blick genommen würden etwa „die Effekte der Einführung einer IP-Adressdatenspeicherung wie das Ausweichen auf Anonymisierungsdienste“.Auch von Notz sieht das Problem, dass „sich die IP-Adressenspeicherung durch die Nutzung eines VPN-Tunnels einfach umgehen lässt“. Also könne man damit „ohnehin nur Amateure erwischen“.EuGH-Vorgaben CSU-Mann Dobrindt setzt sich bekanntlich seit mehr als einem Jahrzehnt für eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung ein, bislang allerdings noch ohne Erfolg. Als Minister zitierte er in seiner Rede nun den EuGH, der über eine Erhöhung der „Gefahr der systemischen Straflosigkeit“ gesprochen habe, wenn IP-Adressen nicht gespeichert werden dürften. Diese „systemische Straflosigkeit“ wolle Dobrindt jedoch nicht zulassen.Zu Zwecken der Profilierung des Surfverhaltens dürfen die IP-Adressen allerdings keineswegs verwendet werden, erläutert dazu das Höchstgericht.Der EuGH stufte den Grundrechtseingriff als nicht so schwerwiegend ein, wenn es allein um die Identifizierung geht, und ließ damit erstmals die Türe für eine anlasslose Massendatenspeicherung offen. Er betont allerdings, dass die Vorratsdatenspeicherung nur allein deshalb gewährt werden dürfe, „damit die Behörde die Inhaber dieser IP-Adressen identifizieren kann“.Auf die Frage an das Bundesinnenministerium, wie bei der verpflichtenden Speicherung aller IP-Adressen und Portnummern mit der Gefahr umgegangen werden kann, dass umfassende Profile über Nutzerinnen und Nutzer erstellt werden könnten und wie gesichert werden kann, dass die IP-Adressen nicht mit anderen gespeicherten Daten verknüpft werden, hat Dobrindts Haus unter Verweis auf die Ressortabstimmung allerdings nicht geantwortet.Aufwand und gewaltige Ressourcen Branchenverbände der Telekommunikationsunternehmen wie Bitkom und eco warnen vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Das Unternehmen SpaceNet, das vor dem Europäischen Gerichtshof zusammen mit der Deutschen Telekom erfolgreich gegen die frühere gesetzliche Regelung vorgegangen war, sieht die aktuellen Ansätze Dobrindts als einen „bedenklichen Rückschritt im Ringen um informationelle Selbstbestimmung“. Das Vertrauen der Bevölkerung würde strapaziert, außerdem würden „die Rahmenbedingungen für inländische Anbieter“ weiter verschärft werden.SpaceNet weist darauf hin, dass „Provider jeden Tag durchschnittlich mehrere Millionen Datensätze speichern, sichern und vorhalten“ müssten. Das sei „ein Aufwand, der gewaltige Ressourcen kostet und darüber hinaus auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die CO2-Bilanz“ hätte.Position des SPD Koalitionspartners Wer nun gern wissen würde, wie die mitregierenden Sozialdemokraten zu all dem stehen, wird jedoch beinahe erwartungsgemäß bitter enttäuscht. Auf Fragen von netzpolitik.org konnte die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag auch nach telefonischen und schriftlichen Nachfragen innerhalb von einer Woche nicht antworten.Diese anlasslose Datenspeicherung, sogar in massenhaftem Umfang, plant der Innenminister nun also umzusetzen. Beim sozialdemokratischen Koalitionspartner herrscht dazu jedoch Schweigen im Walde.UNSER MITTELEUROPA erscheint ohne lästige und automatisierte Werbung innerhalb der Artikel, die teilweise das Lesen erschwert. Falls Sie das zu schätzen wissen, sind wir für eine Unterstützung unseres Projektes dankbar. Details zu Spenden (PayPal oder Banküberweisung) hier.++