In Europa verfällt die Infrastruktur des Bargelds, des bevorzugten Zahlungsmittels der untersten Einkommensschicht und derer, die ihre Privatsphäre schützen wollen. Banken schließen Filialen und bauen Geldautomaten ab. Ladenbetreibern wird der Aufwand für den Geldtransport zu groß. Viele Länder steuern jetzt gegen, nur Deutschland bleibt untätig, kritisiert Hakon von Holst in diesem Gastbeitrag.Quelle: norberthaeringHakon von Holst.* Kampagnen sind die Munition der Finanzwirtschaft in ihrem selbst erklärten „Krieg gegen das Bargeld“. Neuerdings mischt Paypal an Deutschlands Ladenkassen mit. Den Startschuss dafür gab eine Anti-Kampagne: „Du liebst Bargeld – aber hat Bargeld dich jemals zurückgeliebt?“, fragten Plakate an Deutschlands Bahnhöfen, ohne den Urheber zu verraten. Schon 2015 sagte der damalige Paypal-Chef Dan Schulman, der größte Konkurrent des Unternehmens sei Bargeld.Fragwürdig ist nicht nur, dass ein US-Konzern im Herzen Deutschlands anonym gegen das staatliche Zahlungsmittel werben darf. Wenn der Staat wirklich das Bargeld erhalten wollte, müsste er ihm mit einer Kampagne beistehen im Wettbewerb gegen private Banken und Zahlungsdienstleister. Vor allem und zuallererst aber sollte er sicherstellen, dass Banken und Handel ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Eine von mir mit initiierte Petition an das EU-Parlament fordert verpflichtende Bargeldakzeptanz in Geschäften, auf Behörden und im Linienverkehr sowie ein dichtes Netz von Möglichkeiten, Bargeld vom Konto abzuheben oder dort einzuzahlen. Bislang haben sich 200.000 Unterstützer angeschlossen, darunter Prominente wie der frühere Bundesbank-Vizepräsident Franz-Christoph Zeitler.Im EU-Ausland tut sich vielDer Anteil der Kommunen ohne Geldautomat ist in Österreich weit geringer als in Deutschland. Trotzdem bemüht sich die dortige Nationalbank in beispielloser Weise darum, das schleichende Sterben der Bargeldinfrastruktur aufzuhalten. Bis zu 120 Geldausgabegeräte will die Notenbank in Eigeninitiative in unterversorgten Gebieten aufstellen. Am 1. Juli 2025 erhielt Obritzberg-Rust in Niederösterreich als erste Gemeinde einen Bankomaten der Nationalbank.In den Niederlanden zahlen die meisten Menschen digital. Immer mehr Händler lehnen Bargeld ab, einzelne Branchen stechen besonders hervor: 2021 lehnten zehn Prozent der stationären Apotheken Bargeld ab, 2022 waren es 12 Prozent, dann 16 Prozent und 2024 – das sind die neuesten Zahlen der Nationalbank – 21 Prozent. Doch dann regte sich politisch etwas. Zwei Politiker aus der „Sozialistischen Partei“ (SP) und der „Reformierten Politischen Partei“ (SGP) brachten eine Bargeld-Annahmepflicht ein. Das Anliegen wurde vom Unterhaus angenommen, mit Stimmen von Geert Wilders „Partei für die Freiheit“ (PVV) und „Neuer Gesellschaftsvertrag“ (NSC). Das Oberhaus muss allerdings noch seinen Segen geben.Ein Gesetzesentwurf aus dem niederländischen Finanzministerium will zudem Großbanken verpflichten, eine Bargeld-Infrastruktur anzubieten. Im Umkreis von fünf Kilometern müsste ein Geldautomat bereit stehen, und zwar für jedermann. Privatkunden großer und kleinerer Banken dürften die Geräte kostenlos nutzen, für Unternehmer gälte ein Gebührendeckel.In Irland trat im Mai 2025 ein ähnliches Gesetz in Kraft. Der Finanzminister soll auf dem Verordnungsweg bestimmen, wie viel Prozent der Bevölkerung innerhalb von fünf bis zehn Kilometern eine Möglichkeit besitzen müssen, Bargeld auf die Bank zu bringen oder vom Konto abzuheben. Der Finanzminister hat das Recht, die Gebühren zu begrenzen, wenn Menschen Automaten fremder Banken nutzen.Selbst in Schweden erhält das Bargeld Schutz, wenn auch nicht konsequent. Ein geplantes Gesetz soll eine Bargeldannahme- und -abgabestelle in maximal 25 Kilometern Entfernung garantieren.Die ungarische Regierung wählte einen anderen Ansatz: Im Mai beauftragte sie die Banken, bis Jahresende alle Gemeinden ab 1000 Einwohnern mit einem Automaten auszustatten. Bis Ende 2026 müssen sie jede Kommune ab 500 Einwohnern versorgen. Bankkunden müssen zwei Mal im Monat bis zu 150.000 Forint kostenlos abheben können (umgerechnet 375 Euro).Mit 143 zu sieben Stimmen beschloss das ungarische Parlament im Juni eine Bargeld-Annahmepflicht an der Ladenkasse. Norwegen und Belgien entschieden sich schon vergangenes Jahr dafür; in Spanien gilt die Regel seit Mitte 2022. Schweden möchte in Zukunft jedenfalls Apotheken und Lebensmittelgeschäfte verpflichten, Bargeld anzunehmen.Berlin bleibt untätigIn Deutschland verschwand zwischen 2017 und 2023 jede dritte Bankfiliale. Auch die Geldautomaten nehmen ab. Die Bundesbank ist sich dessen bewusst und spricht darüber. Demnach sind immer mehr Menschen unzufrieden. Ihr Anteil stieg zwischen 2021 und 2023 von sechs auf fünfzehn Prozent. Die alte Bundesregierung sah kein Problem. Der Zugang zu Bargeld sei weiterhin gewährleistet, weil 85 Prozent der Bevölkerung den Zugang als einfach empfänden. So lautete die Antwort auf eine Unions-Anfrage aus dem Bundestag vergangenen Herbst.Anders als die Nationalbank Österreichs traut sich die Bundesbank kaum, einen politischen Appell auszusenden. Sie gründete stattdessen einen Gesprächskreis, das Nationale Bargeldforum. Sie vermittelt dort zwischen Banken- und Handelsverbänden in der Hoffnung auf einvernehmliche Kompromisse. Der Zentralbereichsleiter Bargeld der Deutschen Bundesbank, Stefan Hardt, sprach sich im November gegen eine gesetzliche Regelung aus. Auch auf eine absolute Untergrenze von 25.000 Geldautomaten wollte er sich nicht festlegen – das entspräche der Hälfte der heute existierenden Geräte.Die neue Bundesregierung verfolgt erklärtermaßen eine „Digital-only“-Strategie. Entsprechend deuten sich keine Maßnahmen zum Schutz von Bargeld an. Allerdings könnte Deutschland über die EU-Ebene dazu gezwungen werden. Dazu müssten EU-Parlament und EU-Ministerrat Verbesserungen an einem Verordnungsvorschlag der EU-Kommission vornehmen. Die nächsten Monate sind entscheidend. Mein Mitstreiter Hansjörg Stützle und ich sind deshalb mit den EU-Abgeordneten in Kontakt getreten, im Namen der 200.000 Unterstützer unserer Petition. Die Unterschriftensammlung ist weiterhin offen.*Hakon von Holst ist freier Journalist. Auf seiner Netzseite finden Sie Informationen von ihm und über ihn und erfahren, wie Sie sich für seine Arbeit erkenntlich zeigen können. Er ist auch Autor des sehr empfehlenswerten aktuellen Buches „Krieg gegen das Bargeld“. Hakon von Holst: „Krieg gegen das Bargeld“. 80 S. 10,90 Euro. ISBN 978-3-910568-21-1.Die erste Auflage war nach wenigen Tagen vergriffen. Die zweite wird es hoffentlich auch sein. Denn es ist wichtig, dass möglichst viele Menschen erfahren, dass das Bargeld nicht einfach so verschwindet, sondern dass es aktiv von mächtigen Interessengruppen, unter Mithilfe der EU-Kommission und einflussreicher Politiker, zurückgedrängt wird.