Interview Standdatum: 19. Juni 2025. Autorinnen und Autoren: Lea ReinhardBild: dpa | Sina SchuldtDer Stahlkonzern Arcelor Mittal streicht seine Pläne für grünen Stahl in Bremen. Die falsche Entscheidung, sagt Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte im Interview.Es wird erst einmal keinen klimaneutralen Umbau des Bremer Stahlwerks geben. In einer Mitteilung des Stahlkonzerns Arcelor Mittal heißt es, dass das Unternehmen die Pläne zur "Dekarbonisierung der Flachstahlwerke in Bremen und Eisenhüttenstadt leider nicht weiterverfolgen kann".Wie kann es für das Stahlwerk und die Beschäftigten in Bremen weitergehen? Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) war für diese Frage bei buten un binnen im TV-Studio.Herr Bovenschulte, wann haben sie erfahren, dass der Umbau bei Arcelor Mittal nicht kommt?Wir haben in den letzten Wochen noch intensiv darüber diskutiert, dass der Konzern einen Antrag stellt, damit die Frist für den Förderbescheid noch einmal verlängert wird. Insofern sind wir alle davon ausgegangen, dass die Situation schwierig ist, wir aber am Ende noch einmal ein paar Monate mehr Zeit haben, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Und dann hat uns jetzt ganz kurzfristig diese Entscheidung ereilt, dass keine sogenannte Direktreduktionsanlage und erstmal auch kein Elektrolichtbogenofen gebaut werden. Und das sind die beiden zentralen technischen Einheiten, die man braucht, um grünen Stahl herzustellen.Dafür nennt der Konzern auch Gründe: Die Nachfrage nach Stahl sei zu gering, der Strom zu teuer – insgesamt stimmten die Rahmenbedingungen einfach nicht. Was hören sie denn aus dem Konzernumfeld?Es ist ganz klar, dass die Rahmenbedingungen für Stahl nicht einfach sind zur Zeit, und die betreffen natürlich auch das Bremer Werk. Das Bremer Werk ist aber ein starkes Werk, es ist gut ausgelastet. Es ist auch nicht so, dass die Existenz des Werkes auf dem Spiel steht. Aber natürlich belasten die schlechte Wirtschaftslage und die Stahlkrise auch das Bremer Werk. Und auch wenn die Rahmenbedingungen – mit viel Importstahl und schlechten Exporten aufgrund der Zollpolitik – nicht gut sind, hätte ich da ein bisschen unternehmerischen Mut erwartet. Dass jetzt der einmal eingeschlagene Weg auch tatsächlich beschritten wird. Immerhin waren Bund und Land bereit, rund 840 Millionen Euro als Förderung bereitzustellen. Und das ist ja kein Pappenstiel.Viele Mitarbeitende werden jetzt zu Recht fragen: Wie sicher ist mein Job? Was antworten sie denen?Kurzfristig kann sich das Stahlwerk nicht von der Krise losmachen. Aber es gibt auch keine Existenzbedrohung. Mittelfristig stellt sich aber die Frage, wie man in vier oder fünf Jahren, wenn die Preise für CO2 deutlich in die Höhe gehen, mit der derzeitigen Technik noch wirtschaftlich produzieren will. Und da ist jetzt der Konzern gefordert, eine ganz klare Perspektive für den Standort auf den Tisch zu legen.Haben sie da eine Frist gesetzt?Erst einmal ist Arcelor Mittal jetzt dran und muss sagen: Wir wollen eine Perspektive entwickeln. Das ist auch der eigene Anspruch – zumindest in den Pressemitteilungen. Dann muss diese Perspektive jetzt aber auch auf den Tisch gelegt werden unter den neuen Bedingungen, und dann muss man sich die ganz genau angucken. Und diese Perspektive muss eine ganz klare Aussage enthalten, wie trotz dieser Entscheidung die Dekarbonisierung weiter vorangetrieben werden soll.Sie sind dem Konzern quasi ausgeliefert. Was können sie jetzt tun?Man muss ehrlicherweise sagen: Das ist eine Entscheidung des Konzerns. Also ist er auch in der Verantwortung. Ich gehe davon aus, dass die Beschäftigten, die Betriebsräte und die IG Metall ordentlich Druck machen werden und ihrer Verärgerung Ausdruck verleihen. Wir als Politik erwarten, dass der Weg der Dekarbonisierung vorangetrieben wird – nicht nur wegen des Klimas, sondern auch, weil langfristig sonst gar keine ökonomische gibt. Das habe ich auch schon in Gesprächen deutlich gemacht.Das ist eine Entscheidung des Konzerns. Also ist er auch in der Verantwortung.Andreas Bovenschulte, Bremens BürgermeisterUnd es ist auch notwendig, auf europäischer und auf Bundesebene für förderliche Rahmenbedingungen einzutreten. Das habe ich in der Vergangenheit auch immer getan. Aber natürlich bewegt man von Bremen aus nicht gesamt Europa und auch nicht die gesamte Bundespolitik.Wie groß sehen sie die Gefahr, dass Bremen ohne diesen Umbau als Industriestandort ins Hintertreffen gerät?Eine gute Nachricht ist das mit Sicherheit nicht. Und deshalb muss jetzt der Druck ganz klar aufrechterhalten werden. Es muss eingefordert werden, dass wir einen Zukunftsplan für die Hütte brauchen. Und den kann nur der Konzern vorlegen. Ich kann hier jetzt nicht mit Prozentzahlen spekulieren, aber es ist ganz klar: Die jetzige Entscheidung ist keine gute für den Standort Bremen – aber sie ist auch kein Grund, zu resignieren. Der Kampf muss weiter geführt werden.Es ist auch keine gute Entscheidung aus Klimasicht. Wie lange lohnt sich die klassische Stahlproduktion in Bremen noch?Genau das ist die Herausforderung. In einigen Jahren werden die CO2-Preise so hoch sein, dass man mit einer konventionellen Produktionsweise, bei der viel CO2 anfällt, gar nicht mehr wirtschaftlich Stahl herstellen kann. Deshalb gibt es ja auch einen Zwang, den Weg der Klimaneutralität, den Weg zum grünen Stahl weiter zu beschreiten. Jetzt gibt es keine Direktreduktion und erstmal auch keinen Elektrolichtbogenofen. Das muss infrage gestellt werden, denn sonst gibt es tatsächlich auf Dauer keine Perspektive. Unsere Haltung – und ich glaube auch die der Beschäftigten – ist deshalb ganz klar: Wir brauchen die klaren Vorstellungen des Konzerns, wie es jetzt weitergehen soll. Und dann müssen wir darüber reden.Das Interview führte Lea Reinhard für buten un binnen. Aufgeschrieben und redigiert von Robert Otto-Moog.Bild: Radio BremenAutorinLea ReinhardDieses Thema im Programm: buten un binnen, 19. Juni 2025, 19:30 Uhr