Fragen & Antworten

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Fragen & Antworten Standdatum: 28. Juni 2025. Autorinnen und Autoren: Verena PatelGewalt sollte frühzeitig als strukturelles, gesamtgesellschaftliches Problem und nicht als individuelles Problem der jeweils von Gewalt betroffenen Person thematisiert werden, betont die Polizei Bremen. Bild: dpa | Jonas WalzbergViele Fälle von Gewalt bleiben ohne Anzeige – warum Gewalt keine Privatsache ist und was hilft, damit Betroffene es leichter haben, Anzeige zu erstatten.Die Dunkelziffer bei sexualisierten Gewalttaten, bei Gewalt in Partnerschaften und der Familie ist weiterhin hoch. Das Problem dabei: Niemand weiß, wie hoch genau. Ein Beispiel: Nach dem ersten periodischen Sicherheitsbericht im Land Bremen aus dem Jahr 2024 wird bei Sexualdelikten nur in 2,5 Prozent der Fälle Anzeige erstattet. Die Gründe dafür sind vielfältig.Was hemmt Betroffene, eine Tat anzuzeigen, und wie lässt sich das ändern?Angst davor, was in einem Verfahren passiert, wozu man dann verpflichtet ist und auch davor, dass einem nicht geglaubt wird – das hat Saskia Etzold, Leiterin der Bremer Gewaltschutzambulanz, bei vielen Betroffenen wahrgenommen. "Je sichtbarer das Thema Gewalt ist und je klarer man das Unrecht benennt, es nicht verharmlost, nicht zum Beispiel als 'Familiendrama' deklariert, desto eher verstehen Betroffene, dass sie nicht allein sind", sagt Etzold. Das trage dazu bei, dass sich mehr Menschen trauten, Gewalt auch zu melden."Die Hemmschwelle für Betroffene, Einrichtungen und Anlaufstellen aufzusuchen, um sich Hilfe zu holen, kann mitunter riesig sein", ist der Eindruck bei der Polizei Bremen. Pressesprecher Bastian Demann verweist in einer schriftlichen Antwort auf Anfrage von buten un binnen neben bürokratischen Hindernissen auch auf sprachliche Barrieren. Fazit der Polizei: Eine gute Aufklärung über die eigenen Rechte und über Beratungs- und Hilfsangebote kann es leichter machen, die Hemmschwelle senken. Viele Einrichtungen böten zum Beispiel telefonische Beratungen oder Beratungen per E-Mail oder Chat in verschiedenen Sprachen, anonym und vertraulich an.Kinder sollten lernen, eigene Grenzen einzufordernDass es wichtig und vernünftig ist, sich Hilfe zu holen, solle schon im Kindergarten und später in der Schule zum Thema werden, schreibt Silke Ladewig-Makosch auf unsere Anfrage. Kinder sollten lernen und ermutigt werden, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und einzufordern. Die Fachreferentin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen bei der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) verweist hier auch auf die Vorbildfunktion beispielsweise von Popstarts, mit denen sich Jugendliche stark identifizieren: "Wenn zum Beispiel Prominente wie Billie Eilish oder Lady Gaga offen über Gewalterfahrungen sprechen, hat das enormen Einfluss auf Mädchen und junge Frauen und zeigt ihnen, dass ein solches Erlebnis kein Stigma ist."Was lässt sich aus langen Wartelisten bei Beratungsstellen ableiten?Bei der ZGF hat man eine steigende Nachfrage bei den Beratungsstellen zum Thema Gewalt festgestellt. Nach eigenen Angaben gibt es bei der Beratungsstelle "Neue Wege" eine lange Warteliste, auch bei Notruf Bremen, die sich auf Beratung bei sexualisierter Gewalt spezialisiert hat, ist ein Gespräch auf Anfrage unserer Redaktion nicht möglich – keine Kapazitäten.Sehr enge Zeitspannen herrschen bei der Gewaltschutzambulanz, weil deren Aufgabe ist, Verletzungen zu dokumentieren. Bis zu 72 Stunden nach der Tat ist das möglich. In bis zu einem Drittel der Fälle benötigen Betroffene auch eine weitergehende medizinische Versorgung zum Beispiel wegen Knochenbrüchen oder einem geplatzten Trommelfell, sagt Leiterin Etzold. "Wenn Betroffene zu uns kommen, haben sie manchmal noch gar nicht bemerkt, wie schwer sie verletzt sind."Tabus werden immer mehr aufgebrochenLadewig-Makosch geht davon aus, dass Tabus aufgebrochen werden, weil das Thema vermehrt in Politik und Medien zur Sprache komme. "Wir gehen deshalb davon aus, dass sich mehr von Gewalt betroffene Menschen trauen, die Taten zu melden oder sich Hilfe zu suchen. Dies ist aber nur eine Erklärung für die steigenden Fallzahlen. Wir müssen auch davon ausgehen, dass die Gewalt gegen Frauen zunimmt", schreibt Ladewig-Makosch auf Anfrage von buten un binnen.Wie viele Menschen werden in der Gewaltschutzambulanz beraten?Die Gewaltschutzambulanz in Bremen gibt es erst seit April 2024. Im Jahr 2024 haben sich nach eigenen Angaben 150 Betroffene an die Stelle gewandt. Im laufenden Jahr 2025 sind es bereits 153 Betroffene (Stand: 20. Juni 2025). Die Betroffenen sind überwiegend weibliche Erwachsene, zwischen April 2024 und Ende März 2025 waren unter den Hilfesuchenden 13 Prozent männlich. Von den Beratenen waren ebenfalls 13 Prozent im gleichen Zeitraum Kinder und Jugendliche.Was braucht es dazu, dass mehr Taten ins Hellfeld gelangen, neben Einrichtungen und Anlaufstellen?Betroffene bräuchten insbesondere eine gute Aufklärung über ihre Rechte und über den Ablauf eines Strafverfahrens, heißt es bei der Polizei Bremen. Das sei unverzichtbar, damit sich mehr Menschen trauten, eine Gewalttat zur Anzeige zu bringen. "Oft ist es nämlich nicht nur Angst oder Scham, die Menschen davon abhält, eine Strafanzeige zu erstatten, sondern auch Unwissenheit darüber, was nach einer Strafanzeige auf sie zukommt, welche Rechte sie haben und welche Schutzmaßnahmen getroffen werden können", schreibt Polizeipressesprecher Bastian Demann auf Anfrage von buten un binnen.Viele Betroffene erlebten das Strafverfahren als Kontrollverlust. Dabei gebe es eine Reihe von Rechten, die Selbstbestimmung und Schutz ermöglichten. "Toll wäre ein Begleitservice für Betroffene, jemand, der mit zu Behörden, zum Jobcenter oder zur Rechtsantragsstelle geht", sagt Etzold.Ärzte, Hebammen, Lehrer und Sporttrainerinnen erste AnlaufstellenBeratungsstellen müssen für alle Betroffenen erreichbar sein und sich auch gezielt an Gruppen von Menschen richten, für die der Zugang schwieriger sein kann, schreibt Ladewig-Makosch. Außerdem sieht sie Personen wie Ärztinnen und Ärzte, Hebammen, Lehrerinnen oder Sporttrainerinnen als wichtige erste Anlaufstellen. Damit sie das Thema ansprechen könnten, müssten sie entsprechendes Wissen an die Hand bekommen.Aber neben diesen konkreten Maßnahmen brauche es auch einen gesellschaftlichen Wandel. "Es muss selbstverständlich werden, dass von Gewalt betroffene Personen darüber offen sprechen können ohne ein Victim-Blaming, also eine Schuldumkehr, fürchten zu müssen", so Ladewig-Makosch.Was kann dazu beitragen, dass sich der gesellschaftliche Blick auf Menschen, die Opfer von Gewalt werden, wandelt?"Gewalt sollte frühzeitig als strukturelles, gesamtgesellschaftliches Problem und nicht als individuelles Problem der jeweils von Gewalt betroffenen Person thematisiert werden", schreibt Polizeisprecher Demann. Jede und jeder könne von Gewalt betroffen werden, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Alter oder Religion. Dem schließt sich auch die Fachreferentin bei der ZGF an. Sie ergänzt: "Es gilt aber auch: nicht alle Menschen, die Gewalt erlebt haben, zerbrechen daran. Deshalb ist der Begriff 'Opfer' problematisch, da er die Betroffenen reduziert und nicht in ihrer Gesamtheit achtet."Auch Saskia Etzold von der Gewaltschutzambulanz betont: "Die Muster: 'Du bist schuld, du reizt mich, du bringst mich dazu, so etwas zu tun' von Täterseite stimmen nicht. Die Schuld für die Gewalt liegt nicht beim Opfer. Als erwachsener Mensch muss ich in der Lage sein, auszudiskutieren, wenn mir etwas nicht gefällt."AutorinVerena Patel Redakteurin und AutorinQuelle: buten un binnen.Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 15. Juni 2025, 19:30 Uhr