Ein Nährstoff rückt in Sachen Ernährungsempfehlungen mittlerweile besonders in den Fokus: Protein. Die aktuelle Empfehlung von 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht täglich – seit 2005 nicht mehr überprüft – könnte für viele Menschen schlichtweg unzureichend sein. Nicht nur für Sportler, sondern auch für Senioren, Schwangere und Menschen mit chronischen Erkrankungen.“Die empfohlene Tagesdosis für Protein ist das Minimum, um einen Mangel zu verhindern, nicht die optimale Menge für Gesundheit”, erklärt Angel Planells, registrierter Ernährungsberater, gegenüber The Epoch Times. Diese Erkenntnis könnte weitreichende Folgen für unsere Gesundheitsvorsorge haben – insbesondere im Hinblick auf Muskelerhalt und gesunde Gewichtsabnahme.Skelettmuskulatur ist weit mehr als nur ein Werkzeug für Bewegung. Sie fungiert als entscheidender Marker für metabolische Gesundheit. “Muskeln reduzieren das Risiko für chronische Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen”, betont Dr. Gabrielle Lyon, Familienärztin und Muskelexpertin.Besonders alarmierend: Bei Gewichtsabnahmen stammen oft 20 bis 40 Prozent des verlorenen Gewichts nicht aus Fettreserven, sondern aus wertvoller Muskelmasse. Ein Verlust, der sowohl kurz- als auch langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. Die Wissenschaft zeigt zunehmend, dass eine größere Muskelmasse und -kraft mit besserer Gesundheit, längerem Leben und reduziertem Krankheitsrisiko verbunden ist. Doch ohne ausreichende Proteinzufuhr ist dieser Muskelerhalt kaum möglich.Experten empfehlen mittlerweile deutlich höhere Proteinmengen als die offiziellen Richtlinien. “Eine allgemeine Faustregel für die Proteinaufnahme liegt bei etwa 1 Gramm pro Pfund des idealen Körpergewichts oder etwa 1,6 bis 2,2 Gramm pro Kilogramm”, erläutert Lyon. Für einen 100-Kilogramm-Mann würde dies zwischen 160 und 220 Gramm Protein täglich bedeuten – zum Vergleich: Eine einzelne Hähnchenbrust enthält etwa 50 Gramm Protein.Für hochaktive Menschen kann die verträgliche Obergrenze sogar auf 3,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag ansteigen, wie Stacy Sims, Bewegungsphysiologin und Ernährungswissenschaftlerin, anmerkt. Besonders mit zunehmendem Alter – wenn Frauen die Menopause erreichen und Männer sich ihren 60ern nähern – wird der Körper weniger empfänglich für die muskelaufbauenden Effekte von Training und Proteinaufnahme. Um dieser Resistenz entgegenzuwirken, sollten Menschen in diesen Altersgruppen eine Proteinaufnahme am oberen Ende des empfohlenen Bereichs anstreben.Eine ausreichende Proteinzufuhr bietet zahlreiche Vorteile über den Muskelerhalt hinaus. Proteinreiche Diäten (20 bis 35 Prozent der Kalorien aus Protein) erweisen sich als wirksam bei der Reduzierung des Appetits und der Verhinderung einer Gewichtszunahme nach Diäten. Protein erhöht Hormone, die Sättigungsgefühle fördern, während es gleichzeitig Ghrelin – das Hungerhormon – senkt. Dies führt zu einem stärkeren Sättigungsgefühl und einer reduzierten Nahrungsaufnahme. Zudem hat Protein einen höheren thermischen Effekt, was bedeutet, dass der Körper mehr Energie für die Verdauung und Verarbeitung benötigt als bei Kohlenhydraten und Fetten – ein entscheidender Vorteil für die Gewichtskontrolle.Trotz der wissenschaftlichen Erkenntnisse halten sich hartnäckige Mythen über proteinreiche Ernährung. Eine häufige Sorge ist, dass proteinreiche Diäten die Nieren schädigen könnten. Dieser Mythos wurde jedoch widerlegt. Studien an übergewichtigen Erwachsenen und Daten aus der Nurses’ Health Study haben keinen Rückgang der Nierenfunktion festgestellt.Auch die Hypothese, dass proteinreiche Ernährung das Frakturrisiko aufgrund einer höheren Säurebelastung erhöht, konnte nicht bestätigt werden. Eine Metaanalyse von 74 randomisierten kontrollierten Studien fand keinen signifikanten Unterschied in der Knochenmineraldichte zwischen proteinreichen Diäten und proteinarmen Diäten. Im Gegenteil: Eine geringe Proteinaufnahme wird mit Osteoporose bei älteren Erwachsenen in Verbindung gebracht. Forschungsergebnisse, einschließlich der Framingham-Osteoporose-Studie, deuten darauf hin, dass eine höhere Proteinaufnahme den Knochenverlust in dieser Gruppe sogar verhindern kann.Ein weiteres Missverständnis betrifft die Gleichwertigkeit von pflanzlichen und tierischen Proteinen. Während pflanzliche Proteine durchaus Teil einer gesunden Ernährung sein können, fehlen ihnen oft eine oder mehrere essenzielle Aminosäuren. “Sie erfordern höhere Mengen, um die Wirksamkeit tierischer Proteine beim Muskelaufbau zu erreichen”, erklärt Lyon. Dies betrifft vor allem Veganer, aber auch Vegetarier.Die Debatte um die optimale Proteinzufuhr verdeutlicht einmal mehr, dass Ernährungsempfehlungen individualisiert werden müssen. Was für den einen ausreichend ist, kann für den anderen zu wenig sein. Angesichts der zunehmenden Evidenz für die Vorteile einer höheren Proteinzufuhr sollten wir unsere Ernährungsgewohnheiten möglicherweise überdenken – nicht nur für mehr Muskeln, sondern für ein längeres und gesünderes Leben.