Orwells “1984”: Jubiläumsausgabe erscheint mit Triggerwarnung

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Dass George Orwells „1984“ auch 75 Jahre nach Erscheinen so aktuell ist wie eh und je, zeigt sich paradoxerweise direkt an der neuen Jubiläumsausgabe selbst. Statt einfach nur Orwells dystopisches Meisterwerk zu würdigen, beginnt die neue Edition nämlich mit einer „Triggerwarnung“ und einer faktischen Entschuldigung, weil das Buch politisch inkorrekt wäre, also gegen heutige Denkverbote verstößt.Ausgerechnet ein Buch, das den manipulativen Umgang mit Sprache, Geschichtsklitterung und Denkverboten anprangert, wird heute mit einer politisch korrekten Einführung publiziert, die den eigentlichen Kern des Werkes bestätigt: Das schaffen auch nur die Woken, die bis heute nicht verstanden sind, dass sie selbst die Speerspitze dessen sind, was sie angeblich bekämpfen. Die Einführung stammt von Dolen Perkins-Valdez, Professorin für Literatur an der American University. Sie erklärt, sie könne nur schwer „eine Verbindung“ zu einem Werk aufbauen, das „nichts über Rasse und Ethnizität sagt“. Das ist natürlich ihr persönlicher (durchaus vielsagender) Makel, denn sie selbst ist schwarz – und versteigt sich offensichtlich zu der steilen These, dass jedes Buch auf der Welt sich zuvorderst um ihre Befindlichkeiten drehen müsse. So kennt man sie, die Woko Haram. Warum man so eine Person überhaupt eine Einleitung für dieses bedeutende Werk formulieren lässt, bleibt das Geheimnis der Verleger – zumal die Ausgabe auch noch vom Nachlass des Autors abgesegnet wurde. Orwell selbst könnte derweil sprichwörtlich im Grabe rotieren. Perkins-Valdez empört sich (vermeintlich aus der Sicht eines “neuen Lesers”) nicht nur über die fehlende Auseinandersetzung mit ihrem persönlichen Lieblingsthema und über das Fehlen schwarzer Charaktere (das allein schon dadurch begründet ist, dass zu Orwells Zeiten der Anteil schwarzer Menschen in Großbritannien verschwindend gering war – das wäre so, als würde man von Afrikanern erwarten, in Geschichten ein zu verhandelndes Mindestmaß weißer Charaktere unterzubringen). Auch ist sie entsetzt über die ihrer Ansicht nach “verachtenswerten” Einstellungen des Hauptcharakters Winston, der “fast keine Frauen” möge (vor allem nicht die “jungen und hübschen”). Ob sie sich in linken-typischer Selbstüberhöhung persönlich beleidigt fühlte, bleibt offen. Die so stetig beklagte “Misogynie” im Kontext eines totalitären Systems kritisch einzuordnen, gelingt ihr jedenfalls nicht. Zumindest gibt sie am Ende des Vorworts an, durchaus eine neue Liebe für das Buch entdeckt zu haben – sie tut aber so, als wäre das etwas Empörendes, Kontroverses, indem sie nachschiebt: “Ja, ich hab’s gesagt!” Ganz so, als müsste man sich in heutigen Zeiten entschuldigen, wenn man dieses Werk wertschätzt. Wenn das die heutigen Literatur-Professoren sind, kann man den Fachbereich auch gleich einstampfen. Die Kontrolle und Gleichschaltung von Sprache und Denken war ein essenzieller Bestandteil der Dystopie, die Orwell mit “1984” geschaffen hat. Dass man heute ein solches Buch mit einer Triggerwarnung versieht, weil es die engen Grenzen des Sag- und Denkbaren der Woken sprengt, ist ein tragischer Beleg dafür, wie weit der Einfluss von Zensur und Denk- und Sprechverboten bereits reicht. Ähnlich fassungslos zeigt der Autor und Journalist Walter Kirn im Gespräch mit Matt Taibbi: Er konstatiert, dass George Orwell “wegen Gedankenverbrechen in dem Buch verurteilt [wird], das er über Gedankenverbrechen geschrieben hat.“ Das wäre das “1984-igste”, was er je gelesen habe. Man kann sich bestätigt fühlen: Wir sind auf dem besten Wege, in einer Dystopie zu leben. Der Widerstand zeigt allerdings, dass es so weit nicht kommen muss.