Vielleicht ließe sich auch im Deutschen Bundestag eine himmlische Erleuchtung einführen, wenn man sich ein Beispiel an einer wahren Begebenheit aus dem Allgäu des Jahres 1960 nähme.Pfingsten war in unserem kleinen Dorf im bayerischen Schwaben ein Höhepunkt des Jahres. Zwischen sanft geschwungenen Wiesen, umgeben von Feldern und Obstbäumen, lebten fleißige Bauern und Handwerker, die mit ihrer Arbeit, ihren Familien und ihrem Glauben fest verwurzelt waren. In der Mitte des Dorfes stand unsere 400 Jahre alte barocke Kirche. Von außen schlicht und weiß getüncht, öffnete sie sich im Innern zu einem Raum von überraschender Pracht: goldverzierte Engelchen, bemalte Vöglein, bunte Gemälde mit biblischen Szenen an Decke und Seitenwänden. Sie war das schönste Gebäude weit und breit, und niemand hätte je etwas anderes behauptet.An Pfingsten war es Brauch, dass auf dem Kirchturm unterhalb des Storchennestes die gelb-weiße Pfingstfahne gehisst wurde. Sie wehte nur an diesem Festtag und kündete davon, dass nun der Heilige Geist ganz besonders zugegen war. Schon beim Kirchgang sah man, dass es kein gewöhnlicher Tag war. Die Männer trugen ihre dunklen Anzüge, die auch zu Ostern und Weihnachten sah. Die Frauen kamen in ihren Festtagskleidern, und auch die Kinder waren feierlich angezogen. Der Kirchgang war etwas Besonderes, keine Pflicht sondern tief verwurzelte Tradition.In der Kirche bereitete sich alles auf das Hochamt vor. Die örtliche Musikkapelle und der Kirchenchor nahmen auf der Empore links und rechts neben der Orgel Platz. Weihrauch zog durch das Kirchenschiff, und die Orgel begann zu spielen. Als die Gemeinde mit Inbrunst „Großer Gott, wir loben dich“ sang, ergriff ein wohliges Gefühl die Menschen.Das Unglück während des HochamtesWie es der überlieferte Brauch in unserem Bauerndorf wollte, hatte der Mesner noch vor Beginn der Messe eine blau-weiß bemalte Pfingsttaube aus Ton mit einer dünnen Schnur durch ein kleines Loch in der Kirchendecke nach oben gezogen. Während des Hochamts sollte sie langsam schweben, als ein sichtbares Zeichen des Heiligen Geistes, der in diesem Moment auf die Gemeinde herabkam. Die Taube schwebte oberhalb der Kommunionbank.Doch an diesem Sonntag geschah etwas Unvorhergesehenes.Mitten im Gesang riss die Schnur. Ohne jede Vorwarnung fiel die Taube herab und zerschellte in hunderten kleinen Splittern genau vor der Kommunionbank. Doch die Gemeinde sang weiter. Die Messe ging ihren Gang. Der Pfarrer zelebrierte, damals noch in Latein, unbeirrt weiter. Die Orgel spielte, der Chor blieb im Takt. Nichts wurde unterbrochen.Nur der Mesner war in Aufregung. Er verließ durch den Seiteneingang die Kirche, kam kurz darauf mit einer großen Glasblumenvase zurück. Er stellte sie neben die Scherben der Taube und kehrte mit einem kleinen Besen und einem Schäufelchen die zerbrochenen Reste der Taube sorgsam zusammen. Dann füllte er die Scherben in die Vase – ruhig, fast gelassen.Ohne sich aufzuhalten, lief er über die schmale Holztreppe in den Dachboden der Kirche, öffnete dort das Loch in der Decke erneut und ließ eine neue Schnur nach unten. Dann rannte er zurück ins Kirchenschiff, befestigte die Blumenvase mit den Taubenscherben an der Schnur, lief wieder hinauf und zog sie langsam und vorsichtig bis zur halben Höhe des Kirchenschiffs.Dort schwebte sie nun, wo sonst die Taube geschwebt hätte. Eine Glasvase, gefüllt mit den Scherben der Pfingsttaube. Doch auch das war ein Zeichen. Der Heilige Geist war nicht verschwunden. Er war noch da, in anderer Form vielleicht, aber gegenwärtig.Am Ende der Messe fragte man den Mesner, warum er all das gemacht habe.Seine Antwort zeugte von seiner Interpretation des Volksglaubens.„Der Heilige Geist, der muss nauf, egal wie.“Und mehr musste nicht gesagt werden.Bestimmt wäre es hilfreich, auch im Bundestag fünf Meter über dem Rednerpult eine Pfingsttaube schweben zu lassen. Und risse der seidene Faden, so träfe die Taube immer den Richtigen.Erstveröffentlichung auf Opposition24