“I am mad as hell and I am not going to take this anymore!” Mancher erkennt es vielleicht wieder: Dieser Ausruf stammt aus dem Film “Network” aus dem Jahr 1976. Die fragliche Szene hat heute Kult-Charakter: Ein Nachrichtensprecher rastet vor laufenden Kameras aus und fordert die Zuschauer auf, zum Fenster zu gehen und genau diesen Satz hinauszuschreien. Denn damit sich etwas ändert, müssten die Menschen wütend werden. Fast 50 Jahre später trifft Howard Beales Monolog immer noch ins Herz. Nachrichtensprecher Howard Beale (dargestellt von Peter Finch, der kurz darauf verstarb und posthum mit einem Oscar für diese Rolle ausgezeichnet wurde) soll eigentlich gefeuert werden. Doch nachdem er in einer Sendung daraufhin seinen Suizid vor laufenden Kameras ankündigt und damit immense Aufmerksamkeit auf sich zieht, gibt man ihm stattdessen seine eigene Show – in der Hoffnung, damit hohe Einschaltquoten erzielen zu können. Und siehe da: Den psychisch stark auffälligen Beale zu benutzen, zahlt sich für den Sender aus. Etwa in der Mitte des Films kommt es zu Beales ikonischem Ausraster vor laufenden Kameras. Klatschnass sitzt er im Studio und starrt in die Kameras. Dann legt er los:In der deutschen Synchronisierung sagt er Folgendes:“Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass die Zeiten mies sind, das wissen Sie genauso gut wie ich. Es herrscht Depression. Viele sind ohne Arbeit oder haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Der Dollar ist keine 5 Cent mehr wert, Banken gehen pleite, Geschäftsleute haben eine Waffe unterm Ladentisch. Verbrecher machen die Straßen unsicher. Es scheint niemanden zu geben, der weiß, was man dagegen tun kann. Wir wissen, die Luft, die wir einatmen, ist vergiftet, genauso wie die Lebensmittel, die wir essen. Wir sitzen zu Hause in unserem Sessel, sehen fern, und lassen uns von irgendeinem Ansager erzählen, dass es heute fünfzehn Morde und 63 Gewaltverbrechen gegeben hat, so als ob das ganz normal wäre. Wir wissen, die Zeiten sind mies, schlimmer als mies, sie sind verrückt. Es ist als ob überall alles verrückt geworden ist, so dass wir gar nicht mehr rausgehen wollen. Wir sitzen zu Hause und langsam wird die Welt, in der wir leben immer kleiner und wir sagen nur: Bitte, lasst uns wenigstens in Ruhe in unserem Wohnzimmer, lasst mich meinen Toaster haben, meinen Fernseher, meinen Stahlgürtelreifen, dann sag’ ich auch nichts, lasst mich bloß in Ruhe! Ich werde euch aber nicht in Ruhe lassen. Ich will, dass ihr wütend werdet! Ich will nicht, dass ihr protestiert oder ihr Krawalle veranstaltet oder ihr an euren Kongressabgeordneten schreibt, denn ich wüsste nicht, was ihr ihm schreiben solltet. Ich weiß nicht, was man gegen die Depression tun kann, gegen die Inflation und die Russen und die Verbrechen auf den Straßen. Ich weiß nur, dass ihr erst einmal wütend werden müsst! Ihr müsst sagen: Ich bin ein menschliches Wesen, verdammt nochmal, mein Leben hat einen Wert! Also, ich will jetzt, dass ihr aufsteht. Ich will jetzt, dass ihr alle aufsteht, einer wie der andere. Ich will, dass ihr sofort aufsteht, zum Fenster geht, es aufmacht, den Kopf raus steckt und schreit: Ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ich lass’ mir das nicht mehr länger gefallen! Ich will, dass ihr sofort aufsteht, geht zum Fenster, macht es auf, steckt den Kopf raus und schreit: Ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ich lass’ mir das nicht länger gefallen! Dinge müssen sich ändern. Aber zuerst müsst ihr wütend werden. Dann werden wir überlegen, was wir gegen die Depression, die Inflation und die Ölkrise machen können. Aber dazu müsst ihr jetzt die Chance nutzen. Geht zum Fenster, steckt euren Kopf raus und schreit: Ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ich lass’ mir das nicht mehr länger gefallen!” Was passiert dann? Die Menschen schreien wirklich – landesweit. Beim Sender ist man natürlich verzückt, denn den Verantwortlichen dort geht es um die Aufmerksamkeit, um die Quoten. Und die gehen dank Beale, der so vielen Menschen mit völlig unterschiedlichen Hintergründen aus der Seele spricht und den Zorn, den sie fühlen, derartig bestätigt, dass er einen landesweiten Flashmob an den Fenstern anzettelt, durch die Decke. 1976 und 2025Diese Szene wird in regelmäßigen Abständen in den sozialen Netzen geteilt. Rund fünfzig Jahre später führt sie den Menschen vor Augen: Was ihr fühlt, das gab es schon immer. Das kann schmerzen, aber auch tröstlich sein, denn ja, natürlich ist die Wut, die Bürger fühlen, valide. Sie ist mehr als berechtigt, denn die Menschen wählen Politiker, die ihre Interessen vertreten sollen, und die tun das exakte Gegenteil und ändern nichts an den Problemen, die die Lebensrealität im Land prägen – ganz so, als hätte das Volk eben keinen Wert, ganz so, als wäre nach Ansicht von Regierenden die so gern beschworene Menschenwürde ausgerechnet für die Menschen, die sie ins Amt gewählt haben, außer Kraft gesetzt. Das Problem ist bloß: Wer nur auf Zuruf schreit, der hat es immer noch nicht verstanden. Der ist immer noch Sklave des Systems. Heute geht es weniger um Einschaltquoten denn um Klicks: Hatten die Menschen im Film wenigstens noch die Motivation, ihre Wut für alle hörbar zum Fenster hinauszuschreien, reicht es inzwischen nur mehr für Wut-Emojs auf Facebook und vielleicht den einen oder anderen zornigen Kommentar unter einem Politiker-Posting oder News-Beitrag. Das reicht den Medien, denn die steigern ihre Reichweite und erfüllen ihr Soll, indem sie die Menschen aufregen. Für Veränderung wird das jedoch niemals reichen. Im Alltag ist man dann nämlich oft doch lieber handzahm. Man weiß ja nicht, wer zuhört, und debattieren möchte man auch nicht. Lieber muckt man nur dann auf, wenn gerade auch alle anderen aufmucken, wenn schon fünf Nachbarn aus dem Fenster brüllen oder 20 Leute genervte Kommentare unter den neuesten Merz-Sager gesetzt haben. Wer seine Wut zeigen und tatsächlich Widerstand gegen das heutige Unrecht und den stetigen Wahnsinn setzen will, kann das jeden Tag tun. Jeden Tag im Kleinen Grenzen zu setzen und Nein zu sagen ist so viel kraftvoller als sich nur einer konzertierten Aktion anzuschließen, die dann auch bloß vermarktet und zu Geld gemacht wird. Dazu braucht es keine Gewalt, sondern nur Rückgrat statt Duckmäusertum. Der Effekt ist aber am Ende ähnlich, denn wo einer den Mut hat, anzufangen, werden sich andere anschließen. “Ihr müsst sagen: Ich bin ein menschliches Wesen, verdammt nochmal, mein Leben hat einen Wert!” Wer das lebt, über den wird nicht mehr bei jeder sich bietenden Gelegenheit einfach so hinweg getrampelt. Wenn alle Bürger eines Landes so leben, hat eine bürgerfeindliche Politik schon verloren.