Ich danke Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen heute auf Overton-Magazin erschienenen Kommentar, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinskihttps://overton-magazin.de/top-story/terrorakt-in-colorado-gegen-juden/Terrorakt in Colorado gegen JudenMoshe Zuckermann50 Kommentare7. Juni 2025 Mohamed Sabry Soliman hat in Colorado eine Gruppe von Juden angegriffen. Bild: Boulder Police Dept.Was kodiert der Terroranschlag in Colorado? Wie legitimiert er sich? Was legitimiert er? Nach dem Terrorakt in Colorado/USA, den der Ägypter Mohamed Sabry Soliman gegen eine Gruppe von Juden, die für die Befreiung der Geiseln in Hamas-Gefangenschaft demonstrierten, in dieser Woche begangen hat, gestand er, dass er diesen ein Jahr lang geplant habe, wobei sein Ziel die “zionistische Gruppe” gewesen sei, welche Aktionen zur Geiselbefreiung veranstaltete. Er bewarf sie mit Molotowcocktails; acht Personen sind verletzt worden, eine 88-Jährige unter ihnen lebensgefährlich. Während des Ereignisses schrie der Täter: “Das wird erst enden, wenn Palästina für uns alle frei sein wird.” US-Präsident Donald Trump deklarierte: “Wir werden einen solchen Angriff nicht dulden. [Der Täter] ist hier reingekommen infolge der lächerlichen Politik der offenen Grenzen Bidens. Er muss jetzt unter der Trump-Politik ausgewiesen werden.”Wir haben hier schon mehrfach darzulegen versucht, dass man zwischen Judentum, Zionismus und Israel und entsprechend zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik zu unterscheiden habe. Dies aus dem einfachen Grund, dass nicht alle Juden Zionisten, nicht alle Zionisten Israelis und nicht alle Israelis Juden sind. Aber offenbar war die diesbezügliche Bemühung vergeblich. Weder Nichtjuden noch Juden (außerhalb von oder in Israel) noch Palästinenser bzw. andere Araber sind fähig, diese Unterscheidung aufzunehmen, besonders nicht, wenn es darum geht, die unterlassene Unterscheidung ideologisch zu instrumentalisieren.In den obigen Zeilen des Berichts über den Terrorakt kodiert sich einiges von dem, was im politischen Diskurs wild durcheinander geworfen wird. Der Ägypter (nicht ein Palästinenser) begeht den Terrorakt gegen eine “zionistische Gruppe”, aber er begeht ihn nicht auf israelischem, sondern auf nordamerikanischem Boden. Was den Zionismus der dort lebenden Juden ausmacht, ist nicht eindeutig ersichtlich, denn man muss nicht Zionist sein, um für die Geiselbefreiung aus Gaza zu demonstrieren. Man kann für die Geiseln gegen Netanjahu demonstrieren, der ihre Befreiung aus politischem Kalkül bewusst unterwandert.Andererseits demonstrieren diese Juden in diesem Fall nicht gegen irgendetwas, sondern gegen etwas, das ganz gewiss den israelisch-palästinensischen Konflikt anbelangt: die entführten israelischen Geiseln befinden sich in der Gefangenschaft von Hamas-Palästinensern. Das indiziert auch der ägyptische Terrorist in Colorado – sein Schlachtruf lautet: “Das wird erst enden, wenn Palästina für uns alle frei sein wird.”Er proklamiert also, den Terror gegen für Zionisten erachtete Juden praktizieren zu wollen, bis Palästina befreit sein wird. Nicht ganz ersichtlich ist, was er mit “frei” meint. Frei von Juden? Frei von Zionisten? Frei von Israelis? Irrelevant ist dabei, welche Aussicht auf Erfolg er mit seinem Terrorakt erwarten darf. “From the River to the Sea, Palestine will be free” skandierten weltweit Palästina-solidarische Demonstranten seit dem 7. Oktober und im Verlauf des darauffolgenden Krieges. Von selbst versteht sich, dass es sich dabei eher um eine Wunschvorstellung denn um eine Prognose handelt, die einen Anspruch auf reale historische Erfüllung erhebt.US-Präsident Trump instrumentalisiert den Terrorakt, um Ex-Präsident Joe Biden ein weiteres (und wohl nicht das letzte) Mal wegen seiner “lächerlichen Politik der offenen Grenzen” eins auszuwischen. Das Malheur, dass der Terrorakt sich aber nun in seiner Amtszeit zugetragen hat, will er durch die Trump-Politik der Ausweisung von Flüchtlingen korrigieren. Interessant ist, dass er, ein gestandener Polemiker, in diesem Zusammenhang nicht von Antisemitismus redet. Es ist nicht ausgemacht, ob er den Akt als solchen einstuft oder nicht. Offenbar geht es ihm mehr um die Polemik gegen Biden, als um die Einordnung des Geschehens in einen Zusammenhang, der etwas mit dem spezifischen Täter und seinen Opfern zu tun hat.Diese Funktion erfüllten in Israel sogleich Politiker, Publizisten und das Medienpublikum. Dabei ging es ihnen nicht so sehr um den Kontext des Ereignisses, sondern primär, um den “Beweis” dafür, dass Israel zu Unrecht beschmutzt werde; man konnte den Eindruck gewinnen, dass man auf einen solchen Terrorakt nachgerade wartete, um sich wieder als “Opfer” des Terrors stilisieren zu dürfen; nichts geht in Israel über den “Antisemitismus” als Mittel der ideologischen Kaschierung und Ablenkung von eigenem Verbrechen. Dass der Täter selbst die Unterscheidung nicht zu machen vermag und wahllos gegen Juden als “zionistische Gruppe” agierte, ändert nichts daran, dass die Unterlassung der Unterscheidung seitens der israelischen Öffentlichkeit von einem polemischen, den Terrorakt instrumentalisierenden Impuls herrührt.Es sei in diesem Zusammenhang ein weiteres Mal ein Blick auf den Begriff des “israelbezogenen Antisemitismus” geworfen, der auf Israels Betreiben Eingang in die Antisemitismusdefinition der IHRA gefunden hat. Die Kritik an dieser Definition, die sich in der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus findet, insistiert darauf, dass Israelkritik zwar antisemitische Motivationen innewohnen mögen, aber nicht kategorisch für antisemitisch zu erachten sei. Israelkritik sei angesichts dessen, was Israel schon allein durch seine jahrzehntelange Okkupationspraxis verbricht, nicht nur angesagt, sondern letztlich im Hinblick auf eine künftige politische Lösung des Konflikts mit den Palästinensern unentbehrlich.Das Paradoxe dabei ist, dass wenn mit “Antisemitismus” Ressentiment, Hass und Aggression gegen Juden in der Welt gemeint sind, dann stimmt es, dass es einen “israelbezogenen Antisemitismus” gibt, aber gerade in dem Sinn, dass de facto ein Kausalnexus zwischen Israels Taten und seiner Verdammung besteht, der sich gleichwohl, wie gesagt, an Juden in der Welt (als Abstraktum) austoben mag. Anders gesagt: Israelbezogener Antisemitismus ist ein “Antisemitismus”, der realiter von Israel verursacht, jedoch ideologisch stets als Israel-unabhängig bzw. als von vornherein gegeben dargestellt wird. Es ist nicht verfehlt zu behaupten, dass Israel den Antisemitismus in der Welt braucht, um ihn als Propagandamittel der Rechtfertigung seiner eigenen verbrecherischen Praxis zu verwerten.Der Terrorakt in Colorado kommt da wie gerufen. Denn gerade weil Israel immer größere Kriegsverbrechen gegen die Gaza-Bevölkerung generiert, sein Recht auf “Selbstverteidigung” einklagend und sich ein Universum in Gaza zusammendichtet, in dem es “keine Unbeteiligten” gebe. Gerade weil die unfassbare Zahl der getöteten Kinder momentan selbst die traditionellen Israel-Freunde erschüttert, bedarf es des “Beweises”, dass die Bilder aus Gaza “fake” und der Kampf gegen den “Terror” (von dem auch die Kinder nicht ausgenommen sind) letztlich ein Kampf gegen den Antisemitismus seien. Und gerade deshalb muss die Differenzierung zwischen Juden, Zionisten und Israelis in Abrede gestellt werden.Man kann da den Mond lange anbellen. Es braucht nur ein Mohamed Sabry Soliman aufzutauchen, und schon bekommt die IDF wieder Rückenwind – als Bekämpferin des Antisemitismus mit Waffen (eine auch der sich mit Israel solidarisierenden deutschen Journaille offenbar nicht unbekannte Behauptung). Moshe Zuckermann wuchs als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Tel Aviv auf. Seine Eltern emigrierten 1960 nach Frankfurt am Main. Nach seiner Rückkehr nach Israel im Jahr 1970 studierte er an der Universität Tel Aviv, wo er am Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas lehrte und das Institut für deutsche Geschichte leitete. 2018 wurde er emeritiert.Mehr Beiträge von Moshe Zuckermann →Ähnliche Beiträge:„Ich darf mich rühmen, von der Bundesregierung offiziell als Antisemit eingestuft worden zu sein“Raumverbote oder: Was ist antisemitisch?Wie lange kann Israel die Welt herausfordern?Rettung Israels durch Beendigung des Krieges in GazaIn (nicht nur) eigener Sache