Zwei Wochen in Moskau – Ein Bericht (Teil 3)

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Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 Von dem Geschehen in der Ukraine war in Moskau nichts zu erleben oder zu sehen. Aber natürlich spielte es bei den Gesprächen immer wieder eine Rolle, die meine Partnerin und Kollegin Éva Péli – sie schreibt vor allem für die NachDenkSeiten – führte, ob journalistisch oder privat. Interessant dabei war für uns zu erleben, wie unterschiedlich Menschen in Russland diese «Tragödie» sehen, wie Russlands Präsident Wladimir Putin inzwischen mehrfach den Krieg bezeichnete.Foto: Der Politologe Dmitri TreninDas Spektrum reicht von Kritik an zu großer Nachgiebigkeit der russischen Führung gegenüber der anhaltenden westlichen Eskalation über das klare Erkennen des westlichen Unwillens, einen Frieden durch Verhandlungen zu erreichen, bis zur Meinung, für den Krieg sei Moskau verantwortlich und der Westen bedrohe Russland gar nicht. Der renommierte Politologe Dmitri Trenin erklärte in einem Gespräch, das Éva Péli am 22. Oktober mit ihm führte und bei dem ich dabei sein konnte, unter anderem:«Das Wichtigste für Russland ist derzeit, dass sich die Vereinigten Staaten nicht weiter in den Krieg verstricken und keine weitere Eskalation zulassen, da dies zu einer nuklearen Konfrontation führen kann.»Die Unkenntnis der US-Amerikaner über diese Gefahr mache die Situation für Russland nur schwieriger, erklärte er uns. Er fügte mit Blick auf den an diesem Tag abgesagten Gipfel zwischen US-Präsident Donald Trump und Putin hinzu: Angesichts der geringen Chance auf einen tragfähigen Frieden würde in Moskau niemand dem Ausfall des Treffens sonderlich nachtrauern.Wladislaw Below, Vize-Direktor des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, bewertete am selben Tag die Gipfel-Initiative weniger als potenziellen Friedensschluss, als vielmehr als Prozess. Er hält das nun vorerst abgesagte Treffen lediglich für «eine Etappe», deren Hauptwert in der Tatsache liege, «dass überhaupt eine Bewegung zur Kommunikation eingesetzt hat».In offiziellen Stellungnahmen der russischen Führung wurde inzwischen mehrfach erklärt, dass das Treffen in Budapest zwischen Trump und Putin nur als verschoben gilt. Ob es doch noch zustande kommt, hänge von den möglichen Inhalten und konkreten Lösungen für den Ukraine-Konflikt ab.Below machte im Gespräch darauf aufmerksam, dass eine kleine Gruppe von europäischen Akteuren alles tue, um ein erneutes Treffen zwischen den beiden Präsidenten zu verhindern. Auch Trenin bezweifelte, dass eine von Trump ausgehandelte Lösung für ein Kriegsende von der informellen Koalition aus europäischen Führern, US-Demokraten und Teilen der republikanischen Administration unterstützt und umgesetzt worden wäre. Inzwischen wurde von der russischen Führung auch deutlich erklärt, dass die neuen US-Sanktionen gegen russische Firmen wie Lukoil und Rosneft dem Versuch, wieder bessere gegenseitige Beziehungen zu gestalten, schaden.Herzlichkeit statt HetzeDie deutsche Politik schadet schon lange den Beziehungen zu Russland und erschwert den Kontakt zwischen den Menschen beider Länder. Jenen aus Russland, die aus verschiedenen Gründen nach Deutschland fahren wollen, wird es schwer bis fast unmöglich gemacht. Dagegen werden die Möglichkeiten für Menschen auch aus Deutschland, das große Land zu besuchen, weiter erleichtert, jüngst mit der auf 120 Tage erweiterten Gültigkeit des elektronischen Visums für Russland.Und während die Politik und die mit ihr verbundenen Medien in Deutschland sich weiter in ihre Russlandhetze hineinsteigern, schütteln die Menschen in Russland und dessen Hauptstadt den Kopf über die irrationale Berliner Russlandfeindschaft. Sie reagierten mit Freundlichkeit und Herzlichkeit, wenn sie mitbekamen, dass wir aus Deutschland kamen.Spuren der Epochen in MoskauDas erlebten wir immer wieder, ob auf dem Honigmarkt oder anderswo. An den Ständen mit Honig begrüßte uns ein Mann aus Kirgisien mit den wenigen deutschen Worten, die er noch aus seiner Schulzeit kennt. Auch andere Imker und Honigverkäufer erinnerten sich an ihren Deutschunterricht in der Schule.Eine Frau erklärte uns die gesundheitsfördernde Wirkung von mit Propolis bestrichenem Leinen. Als sie hörte, dass wir aus Deutschland kommen, erzählte sie uns, dass ihre Mutter, die sie begleitete, von Russlanddeutschen abstammt. Immer waren sie sehr freundlich und überhaupt nicht abweisend, wie auch die Frau auf einem Markt, bei der wir eine Tasche kauften.Sie freute sich, als sie bemerkte, dass wir Deutsch miteinander sprachen, und erzählte uns, dass sie Freunde in Berlin habe. Die deutsche Hauptstadt sei eine schöne Stadt, sagte sie und gestand, dass sie leider noch nie dort gewesen sei und sie nur von Fotos kenne.Deutscher FurorAus Deutschland und den anderen mit ihm verbündeten Staaten erreichten uns eher Schreckensmeldungen, etwa die vom ehemaligen deutschen NATO-General Christian Badia, der auf einer Veranstaltung des «Mittelstand Defense Forum» im Saal des Düsseldorfer Industrieclubs erklärte:«Die NATO ist kein defensives Verteidigungsbündnis und hat nur defensive Waffen. Wir müssen offensiv gehen.»Badia forderte an historischer Stelle eine «Abschreckung unterhalb der Schwelle des Nuklearen», auf welche die Gesellschaft vorbereitet werden müsse. Der bis vor kurzem ranghöchste deutsche NATO-Offizier will für Russland ein «Dilemma schaffen». Russland dürfe gar nicht mehr auf die Idee kommen, zu überlegen, ob es angreifen wolle.Ein Plakat am russischen Verteidigungsministerium in Moskau als eine der russischen Antworten auf die westliche Kriegshetze: «Geschichte Russlands – Geschichte der Verteidiger des Vaterlandes»Dabei nahm Badia nicht nur nicht zur Kenntnis, dass Russland den Westen und auch Deutschland nicht angreifen will. Er und die anderen Teilnehmer der kriegshetzenden Veranstaltung der Kriegsprofiteure ignorierten auch geschichtsvergessen, dass am selben Ort Ende Januar 1932 Adolf Hitler eine Rede vor westdeutschen Industriellen gehalten hat.In dieser beschrieb Hitler nicht nur sein ideologisches Programm für die kommende Machtübergabe an die deutschen Faschisten knapp ein Jahr später. Er wetterte auch gegen den Pazifismus, der sich in Deutschland breitgemacht habe und «langsam zu einer Zerstörung des Konkurrenztriebes, des Ehrgeizes zur besonderen Leistung jeder Ar»t sowie zur Ablehnung des Willens zum Kampf führen müsse.Am selben Ort erklärte mehr als 93 Jahre später der ehemalige bundesdeutsche Außenminister Joseph Fischer von den Grünen, dass die Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 «strukturelle Pazifisten» geworden seien. Diese damals «richtige Entscheidung» müsse «revidiert» werden, so Fischer laut der Zeitung Die Welt. Alle Parteien müssten in Deutschland daran arbeiten, «das Sicherheits- und das Verteidigungs- und das Abschreckungsbewusstsein in diesem Lande wieder zu implementieren». Was für eine Parallele, die anscheinend bisher kaum jemandem aufgefallen ist.Mich erschreckt diese Kriegshetze mit ihren historischen Parallelen wie vieles andere, was ich nicht nur in Moskau aus Deutschland zu hören zu lesen und sehen bekam und bekomme, und die kein Ende zu nehmen scheint, wie der Fackelappell der Bundeswehr-Brigade in Litauen zeigt. Bei welcher der neue Heeres-Inspekteur, General Christian Freuding, die Soldaten auf «Sieg» und «Kriegstüchtigkeit» einschwor. Und bei der er erklärte, dass die Bundeswehr in Litauen bleiben solle – die Frage, was sie da an der Grenze zu Russland zu suchen und verloren hat, stellte ihm keiner.Unterschiedliche SichtenDas Interessante, aber aus meiner Sicht auch Fatale ist, dass es in Russland nicht wenige Menschen zu geben scheint, die nicht glauben wollen, dass die herrschenden Kreise im Westen es nicht gut mit ihrem Land meinen, welche die eigene Führung unter Putin für den Krieg in der Ukraine und die anhaltende Eskalation verantwortlich machen.Ich kann nicht einschätzen, wie groß ihr Anteil ist, da wir nur mit wenigen gesprochen haben. Aber einer meinte, die Gesellschaft in Russland sei gespalten zwischen jenen, die die Politik Putins unterstützen und jenen, die sie nicht gutheißen. Der Riss gehe durch Familien, hörten wir.Der Kreml und der Rote Platz in der NachtEin Taxifahrer fragte uns recht offen, was wir über den Ukraine-Krieg denken. Zuvor hatten wir von anderen gehört, dass die Menschen in Moskau sich zunehmend weniger trauen würden, ihre Meinung zu sagen, aus Angst, das «Falsche» von sich zu geben oder von jemand «verpfiffen» zu werden. Der Mann am Steuer des Taxis war anscheinend weniger darum besorgt.Als wir ihm unsere Sicht auf den Ukraine-Krieg und die westliche Verantwortung dafür erklärten, reagierte er aber enttäuscht. Wir würden nur sagen, was «alle sagen», meinte er und wollte das Gespräch schon beenden. Das tat er während unser etwa halbstündigen Fahrt dann aber doch nicht.Und so erfuhren wir, dass er Krieg grundsätzlich ablehnt – auch weil er als Armenier in Aserbaidschan den dortigen gewaltsamen Konflikt erlebt hatte und in den 1990er Jahren nach Russland geflüchtet war. Ein Land dürfe ein anderes nicht angreifen, erklärte er, ohne nach den Gründen und der Vorgeschichte dafür zu fragen.Den Hinweis darauf, dass von der europäischen Politik nicht ein Vorschlag für eine Friedenslösung des Ukraine-Krieges und des zugrundeliegenden Konfliktes kam, fand er interessant und hatte das noch nicht gewusst. Beim Ausstieg wünschte ich ihm einen «мирное небо», einen «friedlichen Himmel», aber auch für alle Menschen.Natürlich kann ich auch nicht einschätzen, wie die russische Politik auf die eigene Bevölkerung einwirkt, da ich nicht in Russland lebe und auch, weil mein Russisch aus der Schulzeit nur rudimentär ist. Es steht mir auch nicht an einzuschätzen, wie sehr kritische Stimmen dort unter Druck gesetzt werden. Wir hörten, dass es immer wieder zu Verhaftungen kommt, angeblich schon, wenn jemand sich nur für Frieden ausspricht, ob auf einer der Online-Plattformen oder mit einer Mahnwache in der Öffentlichkeit.Ich weiß nur, wie es kritischen Menschen in Deutschland ergeht: von Verhaftungen bei Demos, Hausdurchsuchungen mit bewaffneter Polizei wegen Aussagen auf Online-Plattformen, Gerichtsverfahren, Diffamierungen und auch Berufsverboten. Das breitete sich während der politisch verursachten Corona-Krise aus, wo ich es selber erlebt und gesehen habe. Das hält nun an, wo die bundesdeutsche Gesellschaft «kriegstüchtig» gemacht wird, wobei «Lumpenpazifisten» nur stören.Der Unterschied aus meiner Sicht ist Folgendes: Deutschland wird von niemandem bedroht und rüstet dennoch zum Krieg. Russland dagegen ist nachweislich im Visier jener Kräfte im Westen, die glauben, dass sie es ebenso kleinkriegen wie sie es aus ihrer Sicht mit der Sowjetunion geschafft haben – trotz Atomwaffen und einer der damals größten Armeen. Inzwischen gibt es eine ganze Liste von Aussagen westlicher Politiker, die bestätigt haben, dass in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg gegen Russland geführt wird – von Boris Johnson über Marco Rubio bis selbst zu US-Präsident Trump. Zahlreiche Fachleute und Analytiker im Westen haben das bestätigt, so Jeffrey Sachs, Jacques Baud oder Harald Kujat.Ein Wohnhaus in Moskau, erbaut in den 1950er JahrenTeil 4 folgt am Sonntag.Berichte vom Mai 2025:Ausgestreckte Hände – Bericht aus Moskau Teil 1Mit offenen Armen empfangen – Bericht aus Moskau Teil 2Fast ganz normal – Bericht aus Moskau Teil 3