Zwei Wochen in Moskau – Ein Bericht (Teil 1)

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Die Ebereschenbäume auf dem Gelände des Kremls in Moskau trugen schwer an vielen Früchten. Ihre vollen Äste kündigen einen strengen Winter an, erklärte uns ein russischer Freund. Ich dachte bei mir, dass es schön wäre, mal wieder einen richtigen Winter mit Schnee zu erleben.Ebereschenbäume auf dem Kreml-Gelände im Oktober 2025Das wird dann allerdings nicht in der russischen Hauptstadt sein, wo ich mich zum zweiten Mal in diesem Jahr aufhielt. In den letzten beiden Oktoberwochen war ich wieder gemeinsam mit meiner Partnerin und Kollegin Eva Peli dort. Anlass war diesmal ein privates Jubiläum, neben dem Wiedersehen mit Freunden und einigen interessanten Interviews, die Eva für andere Medien führte.Zurückgekommen sind wir wieder nicht nur mit einem Koffer voller Bücher und anderer Souvenirs. In uns trugen wir erneut eine Vielzahl an Eindrücken und Begegnungen, Erlebnissen und Beobachtungen. Die lassen sich kurz so zusammenfassen: Es lohnt sich, nach Russland und insbesondere nach Moskau zu fahren, um sich selbst ein Bild zu machen, das so wenig mit dem zu tun hat, das die hiesigen Mainstream-Medien vom Land und seinen Menschen sowie dessen Politik zeichnen.Und die Menschen in Russland halten zwar laut einer Umfrage Deutschland inzwischen für das «feindlichste Land». Aber das bezieht sich nur auf die Politik und die Handlungen der bundesdeutschen Regierung. Wir, aus Deutschland kommend, erlebten erneut eine Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit, die auch etwas beschämt angesichts der politischen und medialen russland- und russenfeindlichen Stimmungsmache und Hetze hierzulande.Und so erlebten wir immer wieder, dass Menschen sich freuten, wenn sie erfuhren, dass wir aus Deutschland kamen. Und dass diejenigen, die wir kannten und die zum Teil nicht mehr nach Deutschland einreisen dürfen, sich über das Wiedersehen freuten. Niemand machte uns für die deutsche Politik verantwortlich, da die Menschen in Russland zwischen der Berliner Regierung und der Bevölkerung in Deutschland zu trennen wissen.Das erste Kinotheater Moskaus, nahe dem ArbatEs war für uns auch ein Bedürfnis, angesichts der russophoben deutschen Politik zu zeigen, dass nicht alle Menschen in Deutschland so feindlich sind wie die derzeitige Bundesregierung. Besser noch: Überhaupt nicht feindlich gegenüber dem großen Land und seinen Menschen, das nicht uns in Deutschland bedroht, sondern von einer deutschen Politik auf Kriegskurs bedroht wird, die alle geschichtlichen Erkenntnisse über Bord geworfen hat.Problemloser GrenzübertrittDas aber hat auch Folgen für die Menschen, die sich weiterhin begegnen wollen, oder die wie Eva und ich weiter über und aus Russland berichten wollen. So wurde ein Interview-Wunsch von ihr mit jemandem aus einer russischen Universität kurzfristig doch noch abgesagt. Die Leitung der Bildungseinrichtung hatte Bedenken, ob das so gut wäre, weil wir ja aus einem nunmehr «feindlichen» Land kommen.Wir hatten uns wie im Mai zu zweit auf den Weg gemacht, via Kaliningrad. Dorthin brachte uns ein Kleinbus des Leipziger Unternehmens Top Transfer von Konstantin Ermisch, das an dieser Stelle unbedingt erwähnt werden muss. Es hilft Menschen, nach Russland zu kommen, die aus verschiedenen Gründen dorthin wollen oder müssen, und das nicht per teurem Flug via Istanbul oder anderswo machen wollen oder können.In Zeiten wie diesen sind solche Möglichkeiten und Angebote nicht hoch genug zu schätzen. Es gibt natürlich auch andere Wege und Möglichkeiten. Für uns war bisher jedes der drei Male, die wir auf diese Weise mit einem Kleinbus nach Russland kamen, eine Chance, andere Menschen kennenzulernen und zu erfahren, was sie in das große Land führt.Wandbild in der Metro-Station NowokusnezkajaAngesichts der zunehmenden Konfrontation zwischen dem sogenannten Westen, dem sich auch ost- und mitteleuropäische Länder wie Polen angeschlossen haben, und Russland, waren wir gespannt, ob sich beispielsweise beim Grenzübertritt von Polen nach Russland irgendetwas negativ verändert hat. Die kürzliche Drohnen-Hysterie mit kurzzeitigen Grenzschließungen hatte auch uns Sorgen gemacht.Im Mai 2024 und auch ein Jahr später dauerte der Übertritt von Polen nach Russland für uns jeweils nie länger als zwei bis drei Stunden. Da hatten wir von anderen, die ebenfalls auf der Straße den Weg nach Kaliningrad nahmen – ob mit eigenem Auto oder Bus –, von deutlich längeren Wartezeiten gehört.Dieses Mal mussten wir und die sechs anderen im Kleinbus, einschließlich des Fahrers, zum Glück auch nicht länger warten. Und am schnellsten ging es auf der polnischen Seite, während die russischen Zöllner unser Fahrzeug und unser Gepäck wie das derjenigen vor uns etwas gründlicher kontrollierten.Etwas kritisch wurden die Exemplare des Magazins Hintergrund und die Bücher begutachtet, die ich im Koffer hatte. Aber am Ende war alles gut und auch der schnüffelnde Spürhund des russischen Zolls hatte bei uns nichts zu beanstanden. Noch schneller ging es mit knapp über einer Stunde auf dem Rückweg über die russisch-polnische Grenze – die auf polnischer Seite mit NATO-Stacheldraht abgesichert wird.Aus Liebe nach RusslandAm Ende kamen wir auf dem Hinweg nach etwa zehn Stunden Fahrt mit zwei kleinen Pausen im Hotel Salve in Kaliningrad an. Dort verbrachten wir, wie bei der Fahrt retour, eine Nacht, bevor es am nächsten Vormittag mit der Fluggesellschaft Aeroflot nach Moskau ging. Auf dem Flughafen trafen wir Ingo wieder, neben dem wir auf der Busfahrt nach Kaliningrad saßen.Sein Grund, nach Russland zu fahren, überraschte uns ein wenig, nachdem wir bei den beiden Reisen jeweils im Mai Menschen kennengelernt hatten, die hauptsächlich aus politischen Gründen unterwegs waren – heute ist ja schon der einfache Wunsch nach Frieden hochpolitisch. Ingo aus dem hohen Norden liebt Russland, wie er der russischen Passkontrolleurin bei der Einreise an der Grenze verriet.Aber er liebt auch eine Frau aus Perm im Norden Russlands, an der Grenze zwischen Europa und Asien, die er heiraten wollte. Sie hatten sich vor längerer Zeit in Moskau kennengelernt, erzählte der 53-Jährige. Und nachdem er mehrmals bei ihr war, sie aber bisher nie ein Visum für Deutschland bekommen hat, hatten sie sich nun entschlossen, zu heiraten – auch in der Hoffnung, dass sie dann doch noch zu ihm kommen kann.Der in der alten Bundesrepublik Aufgewachsene, der als Polier auf dem Bau arbeitet, hat sich seinen klaren Blick auf die Welt und sein eigenes Denken nie abgewöhnen lassen. Und schon immer hat er an den Erzählungen vom «bösen Russen», die er bereits als Kind hörte, gezweifelt, wie er uns erklärte. Das sei ihm auch in seiner Zeit als Zeitsoldat bei der Bundeswehr so gegangen, berichtete er während der Fahrt nach Kaliningrad.An einem Herbstnachmittag auf dem Boulevard ArbatUnd so machte er sich vor Jahren eines Tages auf den Weg nach Russland, um das Land und seine Menschen kennenzulernen, von dem ihm viel Schlechtes erzählt worden war. Er hat festgestellt, dass nichts davon stimmt, und sagte uns:«Ich habe noch nie so freundliche Menschen kennengelernt wie in Russland.»Inzwischen dürfte er seine Natascha in Perm geheiratet haben und hat gemeinsam mit ihr und ihrer Familie hoffentlich ein wunderbares Fest erlebt. Beim Abschied auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo wünschten wir ihm viel Glück und alles Gute, und dass beide auch in Deutschland zusammenleben können. Wenn das weiter nicht möglich sei, sei er auch bereit, nach Russland zu gehen, sagte er noch.Und dann waren wir auch schon wieder zurück in der russischen Hauptstadt, mit ihrem pulsierenden Leben, das durchaus chaotisch erscheint, aber in dem vieles besser funktioniert als beispielsweise in der deutschen Hauptstadt. So erlebten wir an einem der ersten Tage, wie ein Metro-Zug aus technischen Gründen in der Metrostation Oktjabrskaja nicht weiterfahren konnte. Alle Passagiere mussten mitten im Feierabendverkehr aussteigen, aber brauchten nicht lange zu warten, weil die Züge im Minutentakt fahren. Der defekte Zug konnte immerhin die Station verlassen und die Gleise für den nachfolgenden Zug frei machen.Eingeholt und überholtDer gute öffentliche Nahverkehr gehört zu den Dingen, bei denen Russland den Westen und vor allem Deutschland nicht nur eingeholt, sondern längst überholt hat. Das hat zwar etwas gedauert seit der Zeit, als Nikita Chruschtschow das Ziel ausgab, die USA und den ganzen Kapitalismus zuerst ein- und dann zu überholen, aber nun ist es so.Auch die alten Metro-Züge aus der Sowjetzeit fahren pünktlichSelbst die westlichen Sanktionen seit 2014 und der Stellvertreterkrieg in der Ukraine, der Russland in die Knie zwingen soll, haben das Land nicht aufgehalten. Die entstandenen Probleme wurden und werden meist mit neuen Lösungen und auch neuen Partnern bewältigt.Und so zeigt sich Moskau mit seinen über 13 Millionen Einwohnern als moderne, lebendige und pulsierende Großstadt mit einem geschäftigen Leben, vielen Bauprojekten und einer modernen Infrastruktur sowie einer reichen kulturellen Vielfalt. Und in der kleine selbstfahrende Transporter Essen ausfahren wie anderswo Fahrradkuriere. Auch die gibt es noch in Moskau und auch hier fahren sie meist auf den Fußwegen, aber die kleinen Transportroboter sind immer häufiger zu sehen.Zwei der automatischen Essen-AusfahrerEs ist eine Hauptstadt, die auch immer wieder mit Problemen durch den Krieg in der Ukraine zu kämpfen hat, bis hin zu Drohnenangriffen. Aber sowohl die Hauptstadt wie das Land insgesamt wirken nicht, als seien sie in die Knie gezwungen worden, wie manche zum Beispiel in den USA und anderswo meinen oder immer noch erträumen. Dafür lassen die westlichen Kriegstreiber und -hetzer die Ukrainer weiter kämpfen und sterben – und auch die Russen.Davon ist in der Hauptstadt wenig zu sehen und zu spüren, abgesehen von den Anzeigen, die mit mehr als fünf Millionen Rubel (umgerechnet mehr als 50.000 Euro) Vertragssoldaten anwerben, vereinzelten Werbeständen dafür oder von Militärangehörigen in Felduniform. Ob der junge Fallschirmjäger, der am Flughafen in seiner Ausgehuniform von seiner Familie begrüßt wurde, vom Krieg oder nur von der Ausbildung kam, weiß ich nicht. Sein Lachen wirkte noch glücklich, anders als die Blicke mancher Männer in Uniform, die eher wie Veteranen wirkten, die den Krieg gesehen und überlebt hatten.Der Unterschied zum Mai war nicht nur, dass die großen Feierlichkeiten zum 80. Jubiläum des Tages des Sieges über den Faschismus vorbei sind und wir Moskau im Normalmodus erleben – wenn es auch immer noch zahlreiche Sicherheitskontrollen gibt, vor allem in den Metrostationen, Kaufhäusern und anderen Orten mit vielen Menschen. Der größte Unterschied war natürlich, dass inzwischen Herbst ist. Der zeigte sich leider weniger golden, wofür er in Moskau bekannt ist, sondern grau und nass. Das trübt im wahrsten Wortsinn ein wenig den Eindruck und vor allem die Fotos, aber das ist nicht entscheidend.Alt und neu prägen Moskaus Gesicht***Teil 2 folgt am MittwochBerichte vom Mai 2025:Ausgestreckte Hände – Bericht aus Moskau Teil 1Mit offenen Armen empfangen – Bericht aus Moskau Teil 2Fast ganz normal – Bericht aus Moskau Teil 3