Nicht nur Alkohol und Tabak machen süchtig, auch Zucker und Fett. Die hochverarbeiteten Lebensmittel, die in den 1980ern immer stärker Verbreitung fanden, sorgten vor allem bei den Frauen für eine Abhängigkeit, so eine Studie. Zucker, Fett, Salz und Geschmacksverstärker wirken zusammen auf das Belohnungszentrum des Gehirns wie Kokain.Was haben Alkohol, Nikotin, Fett und Zucker gemeinsam? Sie alle können süchtig machen. Letztere insbesondere in Form stark verarbeiteter Nahrungsmittel der Lebensmittelindustrie, die auch Salz, Geschmacksverstärker und künstliche Aromen beinhalten. Eine aktuelle Studie der University of Michigan, die unter dem Titel “Ultra-processed food addiction in a nationally representative sample of older adults in the USA” im Fachjournal Addiction veröffentlicht wurde, verdeutlicht nun die Auswirkungen der sogenannten “Lebensmittelrevolution” der 1980er-Jahre.21 Prozent der Frauen zwischen 50 und 64 Jahren erfüllt die klinischen Kriterien für eine Abhängigkeit von ultra-verarbeiteten Lebensmitteln. Anders gesagt: Die Generation, die mit SnackWell’s, Sunny D und Tiefkühlkost sozialisiert wurde, kämpft heute mit Zuckerschüben, Heißhungerattacken und dem vollen klinischen Bild einer Suchterkrankung. Das sind deutlich mehr als alle befragten Frauen im Alter von 50 bis 80 Jahren (16,9 Prozent) bzw. alle älteren Frauen ab 65 Jahren (12 Prozent). Mehr noch zeigt sich auch ein riesiger Geschlechterunterschied. Bei den Männern insgesamt (50 bis 80 Jahre alt) fallen gerade einmal 7,5 Prozent in die Kategorie der “ultra-verarbeitete Lebensmittel-Süchtigen”. Unter den Männern der Generation X (50 bis 64 Jahre) sind es 10 Prozent, bei den älteren Männern ab 65 gar nur 4 Prozent. Quer durch die Bank, egal in welchen Altersgruppen, sehen wir also eine Verdopplung oder gar eine Verdreifachung bei dieser Sucht.Der historische Kontext dazu ist entscheidend. In den späten 1970er und 80er Jahren kauften Tabakkonzerne führende Lebensmittelhersteller auf. Dieselben Firmen, die zuvor Nikotinprodukte perfektioniert hatten, übertrugen ihre Kenntnisse der Suchtpsychologie auf Cornflakes, Kekse und Fertiggerichte. Das Ergebnis waren sogenannte “hyperpalatable Foods” – Produkte, die durch die Kombination von raffinierten Kohlenhydraten, Salz und synthetischen Aromen so konstruiert wurden, dass sie im Gehirn dieselben Belohnungszentren ansprechen wie Alkohol oder Kokain.Und mehr noch nutzte man die Naivität einer Generation aus, welche die Werbeversprechen für bare Münze nahm. Gen X, damals Teenager oder junge Erwachsene, war die erste Generation, die in Supermärkten mit Regalen voller “Light”-Produkte, zuckergesüßter Frühstücksflocken und industriell optimierten Snacks groß wurde. Das Ergebnis sehen wir heute in all den übergewichtigen, kranken Menschen (vor allem Frauen), die Opfer dieser Dauerpropaganda wurden.Die Gründe dafür liegen allerdings nicht im biologischen Stoffwechsel, sondern in der gezielten Manipulation der Menschen. Das “Low-Fat”-Dogma der 80er Jahre war vor allem auf Frauen zugeschnitten. Schlankheitskekse, fettfreie Joghurts und Mikrowellenmahlzeiten wurden unter dem Versprechen von Gewichtsreduktion, Fitness und Gesundheit vermarktet. In Wirklichkeit jedoch enthielten diese Produkte vor allem hochkonzentrierte Kohlenhydrate, die das Belohnungssystem des Gehirns direkt ansprachen.Die Autoren der Studie sprechen von einer “Zeitbombe”, die in den kommenden Jahrzehnten hochgehen könnte. Denn wenn schon die Generation der “Lunchables”-Kinder in diesen Zahlen verharrt, was wird erst mit den Digital Natives geschehen, die von Geburt an mit Energy-Drinks, Gummibärchen und Lieferdiensten sozialisiert werden? Die 1980er waren womöglich nur der Anfang einer Entwicklung, deren gesellschaftliche und gesundheitliche Kosten noch nicht einmal ansatzweise absehbar sind.