Die Neutralität als Farce – Österreich zwischen NATO, Meinl-Reisinger und der Realität

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Neutralität – aber nur, wenn’s gerade passt. Österreich ist neutral. So steht’s in der Verfassung. So steht’s in den Schulbüchern. So steht’s in jeder Politikerrede. Doch unsere Neutralität scheint wie ein katholisches Beichtgeheimnis: theoretisch sakrosankt, praktisch verhandelbar. Ein Kommentar von Chris VeberUnd während Deutschland sich in den nächsten Weltkrieg manövriert, Frankreich Atomschnurrbärte zwirbelt und Großbritannien hofft, dass das Empire in der Ukraine aufersteht, steht Österreich – man höre und staune – am Spielfeldrand und schreit laut mit: “Haut’s ihnen eine rein, wir sind moralisch auf eurer Seite!” Vor allem NEOS-Chefin Meinl-Reisinger hat sich hier als wandelnde NATO-Pressemeldung entpuppt. Neutralität? Von gestern. Was zählt, ist Haltung. Am besten im Twitter-Format. Nur halt ohne jeden Plan, was passiert, wenn die Bombe wirklich fliegt. Ich bin mir sicher: Würde man ihr vorschlagen, den Stephansdom rosa anzustreichen, um ein Zeichen gegen Putin zu setzen – sie wäre dabei. “Militärisch neutral, politisch engagiert” – Der neue PR-Trick Die neue Sprachregelung lautet also: „Wir sind militärisch neutral, aber politisch nicht.“ Ein Satz, der so dumm ist, dass ihn nur jemand glauben kann, der nie die Bedeutung von „Neutralität“ verstanden hat. Militärische Neutralität ohne politische Zurückhaltung ist wie Alkoholfasten mit täglichem Gin-Tonic – für’s gute Gewissen halt. Und weil das ja alles nicht reicht, beteiligt sich Österreich inzwischen auch brav an EU-Missionen, liefert über Umwege Ausrüstung, winkt Sanktionen durch, und stellt seinen Luftraum für alles offen, was nicht gerade russisch ist. Kurz gesagt: Wir machen mit – aber bitte ohne offizielles Etikett. Der Westen als Religion Was wir gerade erleben, ist kein außenpolitisches Kalkül, sondern ein ideologischer Selbstmordlauf. Der Westen ist nicht mehr geopolitisches Bündnis, nicht mehr ein Ort gemeinsamer Ideale, sondern zur Religion mutiert. Wer zweifelt, wird exkommuniziert – als Putinfreund, Querdenker oder russischer Troll. Die Ukraine? Ein sakrales Objekt, das nicht hinterfragt, sondern angebetet werden muss. Die Neutralität war einmal der kluge österreichische Weg zwischen den Blöcken. Heute ist sie das letzte Hindernis für jene, die unbedingt dazugehören wollen – zur Welt der großen Jungs mit Drohnen, Milliardenbudgets und moralischer Überheblichkeit. Dass wir damit jeden realpolitischen Einfluss verlieren? Nebensache. Hauptsache, wir stehen auf der „richtigen Seite“. Neutralität verteidigen – bevor sie im NATO-Müllcontainer landetEs geht hier nicht nur um einen verfassungsrechtlichen Begriff. Es geht um Selbstbestimmung. Um das Recht, *nicht* mitzumarschieren, wenn andere Länder ihre globalen Schachzüge ausspielen. Und es geht um die Verantwortung gegenüber einer Bevölkerung, die – anders als Frau Meinl-Reisinger – kein Interesse daran hat, sich zwischen Moskau und Washington atomisieren zu lassen. Ich bin heilfroh, dass Österreich (noch) keine Taurus besitzt. Aber wenn diese Regierung so weitermacht, haben wir bald die erste rosa Rakete mit Meinl-Reisinger-Schriftzug und Regenbogenflagge, die in Richtung Osten zeigt.Und dann, liebe Freunde der wertebasierten Außenpolitik, wird die Neutralität nicht gestorben sein – sie wurde ermordet.