Zu viel Lärm, um wahr zu sein

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von Egon W. KreutzerOb es der Zufall war, die Hand Gottes oder der Zeitgeist, was da gestern beim Sommerinterview Regie führte, muss nachträglich gar nicht mehr geklärt werden. Festzustellen und neidlos anzuerkennen ist lediglich, dass da ein brillantes Stück subtil-subversiver Meinungslenkung vor aller Augen stattgefunden hat, dessen Details man sich ganz langsam und genussvoll auf der Zunge zergehen lassen muss.Der ganz linke und ganz grüne Rand wurde mit dem Einsatz der Schallkanone des Zentrums für politische Schönheit auf eine perfide Weise gebauchpinselt. Wer die AfD im allgermeinen und Alice Weidel im Speziellen so abgrundtief hasst und zugleich gering schätzt, um sich eines so plumpen Tricks aus dem Zeughaus unserer Demokratie zu bedienen, dem dürften gestern die Freudentränen zu einem nie mehr versiegenden Strom der Glückseligkeit angeschwollen sein. Von denen kann sich keiner beschweren, ihre Gebühren würden sinnlos verballert.Die gesichert staatsferne, weil beitrags- und nicht steuerfinanzierte Anstalt des öffentlichen Rechts, kann ihre Hände in Badewannen voller Unschuld reinwaschen. Ist man nicht dem Informationsauftrag nachgekommen? Hat man mit diesem Interview nicht dazu beigetragen, alle relevanten politischen Strömungen zu Wort kommen zu lassen, wie der Staatsvertrag es befiehlt? Ist der Interviewer nicht trotz des Schlachtenlärms unbeugsam auf seinem Posten geblieben und hat, bei aller gebotenen Neutralität, Haltung bewahrt? Wer daran herumzumäkeln gedenkt, solte sich gut überlegen, den ersten Stein zu werfen. Welcher Journo kann heute schon noch von sich sagen, ohne Sünde zu sein?Alice Weidel,  deren Steher- und Nehmerqualitäten in interessierten Kreisen nur allzu gut bekannt sind, bekam Gelegenheit, diese erneut unter Beweis zu stellen. Wie Demosthenes, mit Kieselsteinen im Mund, ist sie unerschrocken vor die sonst schützende Brandmauer getreten, um sich gegen das Brausen der Brandung durchzusetzen, und konnte sich dabei durchaus noch so verständlich machen, dass ihre Getreuen das Fiasko noch als einen grandiosen Sieg auffassen konnten.Mehr Ausgewogenheit geht eigentlich gar nicht.Geht man ins Grundsätzliche, unterstellt ein inszeniertes Spektakel und fragt nach dem Zweck, fällt auf, dass im derzeitigen Stadium der politischen Willensbildung des Volkes ein Maß an Aufmerksamkeit für die AfD hergestellt worden ist, wie seit Monaten nicht mehr. Es fällt weiter auf, dass diese Aufmerksamkeit nicht auf inhaltliche Aussagen gelenkt wurde, um aufgrund dieser Inhalte die „gesichert-rechtsextremistisch-Karte“ zu spielen. Die Inhalte verstehen zu wollen, war ja für die Bürger an den Bildschirmen und Lautsprechern ebenfalls eine Tortur. Wahrgenommen wurde also von allen, die sich dafür noch ein gewisses Maß an Empathie bewahrt haben, eine tapfere, starke Frau, die allen Widrigkeiten trotzte, die gegen sie in Stellung gebracht worden waren. Eine Frau, der man, selbst bei politischer Gegnerschaft Respekt entgegenbringen musste.Die Berichterstattung danach verstärkte diesen Eindruck nur noch.Dieses Sommerinterview hat vermutlich mehr zur „Wählbarkeit“ der AfD beigetragen, als jeder Versuch der Eigenwerbung der Partei selbst noch hätte beitragen können. Die ARD hat der AfD ein neues Potential an Sympathisanten erschlossen, in dem noch jede Menge Wachstumspotential steckt.Nun kann man mir nicht erzählen, dieser Effekt sei bei der Planung nicht in Betracht gezogen worden. Man ist ja nicht treudoof naiv und sendet einfach so drauflos.  Dieser Effekt kann nach meiner Einschätzung nur voll und ganz und genau so beabsichtigt gewesen sein.Bei weiterem Nachdenken erschließt sich, dass dieser Weg, über die emotionale Ansprache der Bevölkerung, der einzig gangbare ist, will man der AfD eine neue Rolle zuweisen. Stellen Sie sich vor, der begnadete Interviewer hätte das Sommerinterview ungefähr so anmoderiert:„Heute, sehr verehrte Damen und Herren, haben wir als Gast zum Sommerinterview die wunderbare, großartige Alice Weidel eingeladen. Sie soll dabei ausführlich Gelegenheit erhalten, die Pläne der AfD für eine bessere Zukunft unseres Landes vorzustellen. Daher wollen wir heute alle überkommenen Vorurteile, von wegen gesichert rechtsextrimistisch und so weiter, unter denen die AfD immer noch zu leiden hat, unter den Tisch fallen lassen und eine rein sachliche Diskussion führen. Hier ist Alice Weidel …“Der Mann wäre binnen Minuten öffentlich geteert und gefedert, aufs Rad geflochten, gevierteilt und geköpft worden. Ein vollkommen untauglicher Versuch, von Beginn an zum Scheitern verurteilt.Aber eine Show, bei der alle, außer den erklärten politischen Gegnern, zumindest ein Mitgefühl  empfinden, das sich schnell, angesichts der Lärmfolter und der gezeigten Standhaftigkeit in ein unterstützendes Mitfiebern verwandelt, während die Inszenierung als boshafte Gemeinheit erkannt wird. Das geht, und das ist gelungen.Natürlich macht eine Schwalbe noch keinen Sommer, doch wenn ich so in mich hineinhorche, glaube ich, dass es bei der einen nicht bleiben wird.Wir dürfen gespannt bleiben.Anmerkung: In der ursprünglichen Fassung hatte ich statt „Demosthenes“ noch „Cicero“ geschrieben. Entschuldigung: Das war falsch. Glücklicherweise gibt es aber Menschen, denen dies nicht nur auffällt, sondern die mich auch daraufhinweisen. Danke!