Als passionierter Flaneur, Händler von Kostbarkeiten und glühender Bewunderer des Ancien Régime zieht Ronald F. Schwarzer Bilanz: Von der einstigen Pracht des Louvre zur heutigen Menschenmenge in Tierpyjamas, von den Zinspalais der Rive Gauche zur afrikanischen Allgegenwart am Boulevard de Strasbourg. Mit scharfem Blick, eleganter Ironie und einer Prise Wehmut schildert er das Paris seiner Jugend – und das heutige, das fremd geworden ist. Eine Liebeserklärung an das Vergangene, eine Abrechnung mit der Gegenwart – und eine Einladung zum Nachdenken.Gastbeitrag von Ronald F. SchwarzerErstmals bin ich glücklich über mein fortgeschrittenes Alter. Ich konnte noch die Schönheiten der Konkursmasse des alten Europa entdecken als Flaneur, entspannt, heiter, voller Neugier. Wenn mir danach war, betrat ich einfach den Louvre, ohne Planung, ohne “Time Slot” und vor allem ohne Menschenmassen; dort erwartete mich die lange Galerie mit den Meisterwerken der französischen Barockmalerei, Prunk, Pathos und Grandeur in riesigen Formaten, intime Kabinette als Schatzkammern der Italienischen Renaissance, und Zimmerfluchten voll Kostbarkeiten aller Zeiten und Kontinente.Das sind Erinnerungen an längst vergangene Jahre. Trotz Reservierung lässt sich Anstellen nicht vermeiden, um durch das Nadelöhr der schmalen Pforten sich durchzuquetschen. Endlich stehe ich im Inneren der Glaspyramide und kann vor lauter Menschen kaum die Aufgangsrampen finden. Das dichte Gewusel touristischer Massen bleibt dann auch das einzige, was ich mitbekomme – im Krach einer Bahnhofshalle fehlt mir die geistige Disposition zwischen den verschwitzten Leibern dumpf dahin trottender Herdenmenschen vielleicht ein wenig von Raffaels und Caravaggios Meisterwerken zu erhaschen. Immerhin bieten die massigen Körper gewisse Schauwerte; während einige im Schlafanzug mit kindlichem Tierdekor daher schlurfen, scheinen einst würdige Greise nun in der Aufmachung ihrer Enkelkinder für die Sandkiste im einstigen Palast der französischen Könige zu drängeln.Nach nicht einmal 30 Minuten suche ich das Weite und das ist weit. Ich muß mir nämlich den Weg durch ein unterirdisches labyrinthisches Einkaufszentrum bahnen, bis ich erschöpft bei der Rue Rivoli das Tageslicht wiedersehe.In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts habe ich in Paris studiert und als ich damals vom Gare de l’Est den Boulevard de Strassbourg in mein Quartier auf der Rive Gauche hinunterspazierte, war der eine elegante Wohnstraße mit prächtigen Zinspalais des 19. Jahrhunderts. Heute ist da Afrika und das ist irreversibel. Da wird keine Remigration mehr stattfinden, denn Afrika ist gekommen, um zu bleiben. Die französischen Neubürger haben ihre subsaharischen Wurzeln längst gekappt und das Dogma der Französischen Revolution von der allgemeinen Gleichheit verbietet es auch nur zu fragen, ob französische Identität irgendetwas mit Hautfarbe, Religion oder Geschichte zu tun haben darf. Nach dem geltenden ius soli ist sowieso jeder am Territorium der Französischen Republik Geborene mit seinem ersten Atemzug französischer Staatsbürger und bald auch Wähler. Es ist also vorbei – genauso wie das Königreich Jerusalem, der Hof von Versailles oder die Glorie der Österreichischen Kriegsmarine.Die Neubürger bereichern nun Frankreich mit neuen Sitten und Bräuchen, ein wenig gerät da schon Althergebrachtes außer Gebrauch. Die öffentlichen Toilettanlagen funktionieren nicht mehr, die Polizei hat Wichtigeres zu tun als sich mit Fassadenschmierereien zu beschäftigen und manch einer macht es sich am Trottoir gemütlich wie im Sitzkreis im Gral.Paris verkommt, doch das tut dem Hypertourismus keinen Abbruch. Es ist noch so viel von früher da, dass jeder meint, das gesehen haben zu müssen. Während die Museen Amerikaner, Europäer und Asiaten bevölkern, haben Afrikaner die Straßen voll im Griff. Kunstgalerien scheinen sie weniger zu interessieren und auch in den Restaurants treten sie bloß als Personal auf.Gewiss, er findet sich noch der Glanz der Belle Epoque und La Douce France lässt sich erahnen. Geradeso muss es im Venedig des späten 18. Jahrhunderts gewesen sein, wo man hinfuhr, sich zu unterhalten und dann beschwingt nach Hause fuhr, besoffen vom Rausch der Vergangenheit. Die Zukunft lag woanders.