Der Fall des verurteilten Sexualstraftäters Jeffery Epstein, der 2019 im Gefängnis ums Leben kam, gewinnt immer mehr an Brisanz. Kürzlich erst traten insgesamt sechs Frauen, die angeben, Opfer von Epstein zu sein, und drei Verwandte der verstorbenen Epstein-Anklägerin Virginia Giuffre gemeinsam bei NBC News auf und brachten zum Ausdruck, dass sie sich von der Trump-Administration im Stich gelassen fühlen:«Wir wurden nicht geschützt und werden unsere eigene Epstein-Liste erstellen und Gerechtigkeit suchen.» (Wir berichteten).Auch bestätigte die «Epstein-Überlebende» Chauntae Davies vor wenigen Tagen, was der Hollywood-Schauspieler Kevin Spacey zuvor berichtet hatte: dass der ehemalige US-Präsident Bill Clinton zusammen mit Epstein in dessen Jets bei einer Reise nach Afrika herumgeflogen sei und dabei auch zahlreiche «junge Mädchen» anwesend gewesen seien.Eines dieser jungen Mädchen war Davies. Die inzwischen 46-Jährige: «Ich flog als junge Frau im Epstein-Jet zusammen mit Bill Clinton.» (siehe hier).Tatsächlich veröffentlichte die Daily Mail 2020 auch ein Foto, das zeigt, wie Davies den Ex-US-Präsidenten bei einem Zwischenstopp ihres Fluges von New York nach Afrika auf einem kleinen Flughafen in Portugal massierte:Quelle: Daily MailLaut Daily Mail sagte Clintons Team diesbezüglich auch die Unwahrheit. So behauptete es, Clinton habe in den Jahren 2002 und 2003 nur vier Reisen mit Epstein in dessen Privatjet, dem «Lolita Express», unternommen. «Flugprotokolle zeigten jedoch, dass er im Laufe dieser Jahre insgesamt mindestens 26 Einzelflüge unternommen hatte», so das Medium (siehe dazu ebenfalls hier).«Beziehung mit Epstein wurde fortgesetzt, weil er über eine Milliarde US-Dollar einbrachte»Doch nicht nur hochrangige Personen wie Trump und Clinton geraten zunehmend in den Epstein-Sumpf, auch gilt dies für JPMorgan, die größte Bank der USA. Bereits vor ziemlich genau zwei Jahren berichteten wir über eine Aussage von Mimi Liu, Anwältin der US-Jungferninseln (Virgin Islands), der zufolge «JPMorgan eine Full-Service-Bank für den Sexhandel von Jeffrey Epstein war».Dieses Statement fiel bei einer Anhörung im Rahmen der Klage der Inselgruppe gegen die größte US-Bank. JP Morgan hat offenkundig insgesamt mehr als eine Milliarde US-Dollar für Epstein abgewickelt. Die Virgin Islands werfen JPMorgan vor, Warnsignale über viele Jahre ignoriert zu haben.Vor wenigen Tagen brachte die New York Times genau dazu einen Artikel mit dem Titel: «Jeffrey Epsteins Banker». Aus diesem geht hervor, wie das Institut mit Hauptsitz in Manhattan Epsteins Sexhandelsgeschäfte ermöglichte und von seinen Verbindungen zu ihm profitierte. Die Enthüllung basiert auf mehr als 13.000 Seiten juristischen und finanziellen Unterlagen. David Enrich, Hauptautor des Beitrags, meint:«Epstein erwirtschaftete Millionenbeträge für JPMorgan. Die Großbank lieh ihm hohe Summen und wickelte Transaktionen im Wert von über einer Milliarde Dollar für ihn ab, darunter auch Zahlungen an Frauen, die in sein Sexhandelsnetzwerk gelockt worden waren. Die Banker wogen die Risiken ab und entschieden schließlich, dass er bleiben könne, wie aus einer heute von meinen Kollegen Matt Goldstein und Jessica Silver-Greenberg und mir veröffentlichten Untersuchung hervorgeht. Kurz gesagt: Bis JPMorgan ihn 2013 als Kunden fallen ließ, unterstützte Amerikas führende Bank den berüchtigtsten Sexualstraftäter des Jahrhunderts finanziell.»In einem Interview mit Democracy Now! konstatierte Enrich:«[Die Bank] sorgte dafür, dass Epstein diese Opfer sowohl in den USA als auch in osteuropäischen Ländern und in Russland bezahlen konnte. [Epstein] konnte vor allem deshalb agieren, weil er uneingeschränkten Zugang zum globalen Finanzsystem hatte. Und viele Jahre lang war es JPMorgan, die ihm diesen Zugang verschaffte.»Der Artikel der New York Times baut auf früheren Berichten auf, bringt aber originär neue Elemente durch exklusive Dokumente, interne E-Mails und detaillierte Einblicke in persönliche Verbindungen.Neu enthüllt wird etwa, dass JPMorgan-Manager bereits 2006 von Epsteins Verbrechen (einschließlich Vergewaltigung und Menschenhandel) wussten und intern debattierten, die Beziehung zu beenden – sie aber fortsetzten, weil Epstein über eine Milliarde US-Dollar an Transaktionen und Krediten einbrachte. Dies geht über frühere Berichte zu Warnsignalen hinaus und zeigt explizit die wirtschaftlichen Motive.Dabei werden auch die Rollen mächtiger Personen bei JPMorgan wie Jes Staley, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Barclays und von 1979 bis 2013 tätig für die JPMorgan, und James Dimon, seit 2006 CEO der Großbank, genauer beschrieben. Die Times schreibt:«Jamie Dimon, der wohl mächtigste Mann an der Wall Street, sagte unter Eid aus, er könne sich nicht erinnern, irgendetwas über Epstein gewusst zu haben, bis die Bundesanwaltschaft ihn 2019 wegen Sexhandels anklagte. Staley hingegen äußerte in einer eidesstattlichen Erklärung, er habe mit Dimon über Epstein gesprochen. Meine Kollegen und ich fanden Hinweise darauf, dass Dimon möglicherweise involviert war. So gibt es E-Mails zwischen JPMorgan-Mitarbeitern, in denen es heißt, Epsteins Konten könnten ‹bis zur Überprüfung durch Dimon› geschlossen werden.»Eines sei dabei klar: Dimon sei bekannt für seine Tendenz zum Mikromanagement gewesen, also für einen Führungsstil, bei dem ein Manager oder Teamleiter Mitarbeiter und ihre Aufgaben übermäßig kontrolliert. Doch bei Epstein, also «bei einem der umstrittensten Kunden seiner Bank», habe sich Dimon «zurückhaltend» gezeigt, so die Times.Er forderte seine Untergebenen nicht auf, Epstein zu zügeln oder die Geschäftsbeziehung zu beenden. Auch als seine obersten Mitarbeiter sich nicht einig waren, ob sie weiterhin mit ihm Geschäfte machen sollten, mischte sich Dimon nicht ein. Und er behauptete, er habe nicht gewusst, dass sowohl der oberste Compliance-Manager als auch der oberste Anwalt der Bank Epstein loswerden wollten.JPMorgan-Jurist Stephen Cutler 2011: Epstein «is not an honorable, he should not be a client.»Doch wirklich glaubwürdig ist das nicht. So hatte Stephen Cutler, von 2007 bis 2016 General Counsel (Leiter der Rechtsabteilung) bei JPMorgan, am 20. Juli 2011 an Jes Staley, Mary Erdoes und zwei weitere Bankmanager geschrieben, Epstein «is not an honorable person in any way. He should not be a client.» Einen Tag später, also am 21. Juli 2011, schrieb er:«I would like to put it and him behind us. Not a person we should do business with, period.»Wie die Times auch darlegt (siehe auch hier), war Staley bei JPMorgan nicht nur in mehrere Führungspositionen aufgestiegen – von 2001 bis 2013 war er Leiter des globalen Investmentbankings und des Private Bankings –, sondern galt auch als enger Vertrauter von CEO Jamie Dimon und wurde sogar als dessen Nachfolger gehandelt.Vergessen werden sollte hier auch nicht, dass sich Epstein am 30. Juni 2008 im Rahmen eines «Plea Deals» (Vergleich) in Florida schuldig bekannt und zwei Anklagen akzeptiert hatte: eine wegen Anstiftung zur Prostitution und eine wegen der Beschaffung einer Minderjährigen für Prostitution. Er wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt. Die Anklage deckte jedoch nur einen Teil der Vorwürfe gegen ihn ab und Kritiker bemängelten, dass sie die Schwere seiner Taten, darunter Menschenhandels- oder Vergewaltigungsvorwürfe, nicht vollständig widerspiegelte. Dadurch entging er auch einer möglichen lebenslangen Haftstrafe.Im November 2020 – also in der Zeit von Trumps erster Präsidentschaft – erschien ein Bericht des Office of Professional Responsibility (OPR) des US-Justizministeriums. In diesem Bericht werden die Umstände des kontroversen «Non-Prosecution Agreements» (NPA) von 2008, das Jeffrey Epstein im Rahmen seines «Plea Deals» in Florida zugutekam, beleuchtet.Juristischer Vergleich mit Epstein im Jahr 2008 ist ein «abscheuliches Versagen»Kritisiert wird darin insbesondere, dass der «Plea Deal» auf «poor judgment» (schlechtes Urteil) von Staatsanwälten basierte, da er Epstein, wie erwähnt, erlaubte, sich nur zu zwei leichteren staatlichen Anklagen schuldig zu bekennen.Doch der Bericht selbst stand auch massiv in der Kritik, weil darin zwar Mängel aufgedeckt, aber keine ausreichenden Konsequenzen für die Verantwortlichen gefordert wurden. Brad Edwards etwa, Anwalt mehrerer Opfer Epsteins, kanzelte den Bericht 2020 als «enttäuschendes Ausweichen vor der Angelegenheit» ab. Das Justizministerium habe sich offenbar auf ein gewünschtes Ergebnis geeinigt, das sich nur schwer mit den Fakten vereinbaren lässt. Edwards weiter:«Wir fragen uns immer noch, warum Jeffrey Epstein diesen günstigen Deal bekommen hat und wer genau die Entscheidung getroffen hat, eine lange Anklage wegen Sexhandels in eine Vereinbarung über die Nichtverfolgung umzuwandeln»Auch der republikanische Senator Ben Sasse aus Nebraska, der Beamte des Justizministeriums wiederholt zu dem Deal befragt hatte, verurteilte den Report:«Einen gut vernetzten Milliardär für Kindesvergewaltigung und internationalen Sexhandel davonkommen zu lassen, ist kein ‹poor judgment› – es ist ein abscheuliches Versagen. Die Amerikaner sollten wütend sein. Jeffrey Epstein sollte heute hinter Gittern verrotten, aber das Justizministerium hat Epsteins Opfer auf Schritt und Tritt im Stich gelassen.»Im Übrigen sagte Ex-JPMorgan-Spitzenmanager Staley in einer eidesstattlichen Erklärung, er habe mit Dimon über Epstein gesprochen, während die Virgin Islands laut argumentieren, dass Informationen von so bedeutendem Ausmaß «bis an die Spitze» einer Bank gemeldet worden sein mussten. Siehe dazu auch den CNBC-Artikel vom 17. März 2023 «JPMorgan-CEO Jamie Dimon ‹wusste schon 2008›, dass Epstein ein Sexhändler war, argumentiert Anwalt».Des Weiteren wird argumentiert, bei Epstein habe es sich um einen Hochrisiko-Kunden mit großem Umsatz gehandelt, weshalb es «undenkbar» sei, dass Dimon nicht informiert worden sei – selbst wenn es keine entsprechende E-Mail-Kommunikation (mehr) gibt, in die er involviert war. In besagtem CNBC-Artikel wird die Anwältin der Virgin Islands, Mimi Liu, wie folgt zitiert:«Jamie Dimon wusste 2008, dass sein milliardenschwerer Kunde ein Sexhändler war (...) Wenn Staley ein skrupelloser Mitarbeiter ist, warum ist Jamie Dimon es dann nicht?»Epstein war nicht nur Kunde, sondern auch «vertrauter Berater» von JPMorganAls exklusiv an dem NYT-Beitrag kann derweil auch betrachtet werden, dass darin beschrieben wird, wie Epstein nicht nur Kunde, sondern als «vertrauter Berater» agierte. Die Times schreibt:«Er stellte Bankmanagern andere Klienten vor, darunter Sergey Brin, den Google-Mitbegründer, der mehr als vier Milliarden Dollar bei JPMorgan geparkt hatte. Er half bei der Organisation einer wichtigen Übernahme für die Bank. Und er war ein vertrauenswürdiger Berater einiger Topmanager der Bank – selbst während er in Florida inhaftiert war, nachdem er sich eines Sexualverbrechens schuldig bekannt hatte.»Auch liefert die Times tiefere Einblicke in die enge Beziehung von Epstein zu Staley:«Epstein pflegte Beziehungen zu einer Reihe hochrangiger JPMorgan-Manager – und zu niemandem eine so enge wie zu Jes Staley, der die riesige Investmentbanking-Abteilung von JPMorgan leitete. Jahrelang plädierte er dafür, die Beziehung der Bank zu Epstein aufrechtzuerhalten. Staley und Epstein standen sich ungewöhnlich nahe. Staley besuchte Epsteins weit verstreut gelegene Anwesen. In E-Mails bezeichneten sie sich gegenseitig als Familie. Staley schickte seine Tochter zu Epstein, um sich Karriereberatung zu holen, und gab dem Sexualstraftäter während seiner Haft vertrauliche Informationen preis – unter anderem über die Übernahmepläne der Bank und die Verhandlungen mit der Fed. Einmal hatte Staley Sex mit einer Frau, die in Epsteins Stadthaus in Manhattan arbeitete – und die Epstein später beschuldigte, sie zum käuflichen Sex mit seinen Freunden gezwungen zu haben.»