Deutschland und die USA: Zeit für eine nüchterne Neubewertung

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von Klaus Neumann | Seit Jahrzehnten gilt die transatlantische Partnerschaft als Grundpfeiler deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Doch die Welt von heute unterscheidet sich grundlegend von der des Kalten Krieges. Während Berlin noch immer reflexartig Washington folgt, zeigt die Realität: Amerikanische Interessen und deutsche Interessen klaffen zunehmend auseinander. Wer weiterhin blind nach Washingtons Pfeife tanzt, riskiert nicht nur seine Souveränität, sondern auch die eigene Sicherheit.Die USA handeln seit jeher nach dem Prinzip des nationalen Eigennutzes. Das ist legitim. Doch problematisch wird es, wenn deutsche Politik ihre Entscheidungen nicht mehr an den Bedürfnissen des eigenen Volkes, sondern an den Wünschen der US-Administration ausrichtet. Ob in der Energiepolitik, in Sicherheitsfragen oder bei internationalen Konflikten – zu oft hat Deutschland den amerikanischen Kurs übernommen, auch wenn dieser zu direkten Nachteilen für Europa führte.Die Art und Weise, wie Washington seine Interessen durchsetzt, zeigt sich in zahlreichen Episoden. Das Scheitern von Nord Stream 2 war nicht nur ein Schlag gegen Russland, sondern vor allem gegen Europas eigene Energieversorgungssicherheit – während die USA gleichzeitig ihren Markt für Flüssiggas in Europa ausweiteten. Der Irakkrieg 2003 offenbarte eine weitere Dimension dieser Missachtung, als die USA ohne UNO-Mandat losschlugen, während Europa vor den Folgen der Destabilisierung im Nahen Osten und den daraus resultierenden Flüchtlingsbewegungen stand.Auch in wirtschaftlichen Fragen wird die transatlantische Freundschaft gerne beiseitegeschoben: Unter Donald Trump wurden Strafzölle auf europäische Produkte verhängt, und selbst heute ist der Geist des „America First“ allgegenwärtig. Im Ukraine-Krieg schließlich trägt Europa die Hauptlast der Sanktionen, der wirtschaftlichen Einbußen und der sozialen Spannungen, während amerikanische Unternehmen gleichzeitig von steigenden Rüstungsverkäufen und Gasexporten profitieren.Eine Partnerschaft mit den USA mag sinnvoll bleiben. Doch sie darf nicht länger einseitig sein. Deutschland muss seine Politik stärker an eigenen Zielen ausrichten. Es geht um eine Energie-Sicherheit, die nicht länger von Washingtons Kalkül abhängig ist, um Verteidigungsstrategien, die europäischen Realitäten entsprechen, und um einen Außenhandel, der auf Diversifizierung setzt, statt in neuer Abhängigkeit zu verharren. Nur so lässt sich ein Mindestmaß an Eigenständigkeit bewahren.Die USA sind kein Feind, aber sie sind auch längst kein selbstloser Beschützer Europas. Wer in Berlin immer noch glaubt, Washingtons Kurs sei automatisch auch der richtige für Deutschland, ignoriert die Realität.Eine souveräne deutsche Außenpolitik muss aufhören, amerikanische Interessen bedingungslos zu unterstützen. Sie muss beginnen, konsequent den eigenen Nutzen und die eigene Sicherheit in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht nicht um den Bruch mit den USA, sondern um den Schritt in die Mündigkeit. Denn wahre Partnerschaft bedeutet nicht Gehorsam – sondern Augenhöhe.