Wer profitierte vom 7. Oktober 2023?

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Es gibt eine ganze Reihe von Hinweisen, dass der gemeinsame Angriff der palästinensischen Organisation Hamas und anderer palästinensischer Widerstandsgruppen am 7. Oktober 2023 für die herrschenden Kräfte in Israel weniger überraschend war, als sie es der Weltöffentlichkeit glauben machen wollen. Für manche Beobachter handelt es sich, ähnlich wie bei den Anschlägen vom 11. September 2001, um einen Fall, bei dem es Vorwissen gab und das Geschehen nicht verhindert wurde, weil es den Interessen verschiedener Kreise nützlich war.Der Überfall von vor zwei Jahren, der für manche, angesichts der Lage der Palästinenser im Gaza-Streifen bis dahin eher wie ein Ausbruch aus dem größten Freiluftgefängnis der Welt aussah, war auf jeden Fall für jene Rechtsextremisten nützlich, die mit Benjamin Netanjahu in Israel regieren. Seitdem können sie ungehindert und unterstützt von Staaten wie den USA und Deutschland ihren vorher geplanten Vernichtungs- und Vertreibungsfeldzug gegen die Palästinenser um- und fortsetzen – und niemand scheint sie zu stoppen.Damit machen sich nicht nur die westlichen Unterstützer Netanjahus zu Mittätern beim offensichtlichen Völkermord. Das gilt auch für all jene, die Vorwissen hatten und die von den Ereignissen profitieren. Die UN-Sonderbeauftragte Francesca Albanese hat in einem Bericht auf die wirtschaftlichen Profiteure des Völkermordes aufmerksam gemacht.Der Journalist und Kommunikationswissenschaftler Jim DeBrosse hat in einem Ende September veröffentlichten Beitrag, veröffentlicht im Online-Magazin The Electronic Intifada, Antworten auf die Frage gesucht, wer vom 7. Oktober 2023 profitiert hat. Darin macht er darauf aufmerksam, dass, ähnlich wie bei «Nine Eleven», wenige Tage vor dem Angriff Leerverkäufer «das große Geld» gemacht haben. Das Magazin hat eine ganze Reihe investigativer Beiträge zu dem Ereignis von vor zwei Jahren veröffentlicht.«Während Israels militärische Invasion, wahllose Massaker und erzwungene Hungersnot in Gaza weitergehen, bleiben Fragen offen, wie etwa, wie 3.000 von der Hamas angeführte Kämpfer am 7. Oktober 2023 die Sicherheitsbarrieren Israels durchbrechen konnten.»Die israelische Regierung lehne weiterhin eine unabhängige Untersuchung ab. Zugleich würden sich die Hinweise darauf mehren, «dass die obersten zivilen und militärischen Führer des Staates die Anzeichen eines bevorstehenden Angriffs nicht nur übersehen, sondern möglicherweise absichtlich ignoriert haben», so DeBrosse.«Das Motiv war, die ethnische Säuberung des Gazastreifens, die Annexion des Westjordanlands und die Schaffung eines größeren Israels im besetzten Palästina zu rechtfertigen.»Darüber hinaus würden – «überraschenderweise nur wenig beachtet» – verdächtige Aktivitäten an der Börse wenige Tage vor dem Angriff im Oktober die Theorie untermauern, dass jemand etwas vorher wusste. Auch hat beispielsweise eine Untersuchung der israelischen Zeitung Haaretz Anfang September ergeben, dass der oberste israelische Militärführer für den Gazastreifen, Oberstleutnant Haim Cohen, Kommandeur der Nordbrigade in der Gaza-Division, am 7. Oktober nur eine Stunde vor dem Angriff den Ort der Supernova-Rave-Party besucht und keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte.Die Supernova-Rave-Party, bei der 378 Menschen getötet und 44 als Geiseln genommen wurden, war demnach der tödlichste einzelne Ort an einem Tag, an dem nach offiziellen Angaben insgesamt 1139 Menschen getötet und 240 Menschen gefangen genommen wurden. Es sei immer noch unklar, so der Autor, wie viele der Toten von palästinensischen Kämpfern getötet wurden und wie viele von der israelischen Armee aufgrund der tödlichen Hannibal-Direktive.Auch die unmittelbare Reaktion des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu auf die Krise stehe im Fokus der Kritik, schreibt DeBrosse. Sein Stabschef und engster Vertrauter, Tzachi Braverman, werde beschuldigt, Netanjahus Telefonprotokolle verändert zu haben, um den Anschein zu erwecken, dass seine ersten Befehle an das Militär am Morgen des 7. Oktober früher erteilt wurden, als dies tatsächlich der Fall war.Die Nacht zuvorDas israelische Militär habe jedoch in der Nacht vor dem 7. Oktober seine stärksten Warnungen erhalten, so der Autor. Allerdings habe die Armeeführung entschieden, diese Warnungen zu ignorieren.Laut eines Beitrags von Ynet, Israels größter Nachrichtenwebsite, hatte eine militärische Geheimdienstabteilung Anzeichen für einen bevorstehenden Raketenangriff auf Israel und «ungewöhnliche Aktivitäten der Luftwaffe der Hamas» festgestellt, die alle Alarmglocken hätten läuten lassen müssen. Stattdessen entschied sich demnach das Militär, «sensible Geheimdienstquellen nicht preiszugeben, anstatt [Maßnahmen zur] Vorbereitung zu ergreifen».«Wirklich? War der Schutz einiger weniger Agenten das Risiko eines größeren Raketenangriffs auf israelisches Gebiet wert, ohne die Zivilbevölkerung zu warnen?»Zehn Tage, nachdem diese Berichte öffentlich bekannt wurden, räumte Netanjahus Büro ein, dass es versäumt hatte, die Notiz mit den Details zu den verdächtigen Aktivitäten in der Nacht vor dem 7. Oktober weiterzuleiten. Das wurde damit gerechtfertigt, dass die Warnung als «nicht dringend» eingestuft worden sei.Die israelische Führung sei anscheinend besser darauf vorbereitet gewesen, die Palästinenser aus Gaza zu vertreiben, als einen möglichen Angriff zu vereiteln, stellt DeBrosse fest. Nur wenige Monate nach dem Angriff im Oktober habe die Netanjahu-Regierung bereits die «freiwillige Migration» der 2,3 Millionen Einwohner Gazas gefordert und mit mehreren Ländern über deren Umsiedlung verhandelt.Noch verblüffender ist aus Sicht des Autors, dass israelische Beamte bereits ein Jahr im Voraus eine Kopie des 40-seitigen Angriffsplans der Hamas in ihrem Besitz hatten und zusahen, wie die militärischen Brigaden der Organisation offen trainierten und sich auf den Durchbruch vorbereiteten, wie die New York Times im November 2023 berichtete.«Die Vermutung, dass Israels Spitzenpolitiker die erschreckende Anzahl von Warnzeichen bewusst ignoriert haben, wird noch verstärkt durch die Weigerung von Netanjahus Büro, eine Untersuchung der eigenen Versäumnisse am 7. Oktober zuzulassen, während eine Untersuchung der Rolle und Reaktion des Militärs genehmigt wurde.»Netanjahu lehne weiterhin eine unabhängige staatliche Untersuchungskommission ab, die sich mit dem «Gesamtbild» der politischen, zivilen und militärischen Beteiligung befassen würde. Neben detaillierten Plänen und sogar öffentlichen Videoaufnahmen von Hamas-Trainingsübungen sei auch ein weiteres Warnsignal übersehen worden, so DeBrosse: Ein plötzlicher Anstieg der Handelsaktivitäten in den Tagen vor dem 7. Oktober 2023, bei denen darauf gewettet wurde, dass die Werte wichtiger israelischer Aktien bald einbrechen würden.«Der wahrscheinlichste Grund für diese Wetten war, dass die Investoren wussten, dass bald ein Krieg ausbrechen und die israelische Wirtschaft belasten würde.»Verdächtige HandelsaktivitätenDer verdächtige Zeitpunkt der Börsenaktivitäten sei in einer 67-seitigen Studie aufgedeckt worden, über die der US-Sender CNN erstmals berichtet hatte. Die Autoren der Studie stellten demnach fest, dass unbekannte Investoren in Israel und den USA nur wenige Tage vor dem Angriff der Hamas ihre Aktien wichtiger israelischer Unternehmen verkauft hatten. In einer als «Leerverkauf» bekannten Praxis kauften die Investoren ihre Aktien später zu einem viel niedrigeren Preis zurück und erzielten damit einen Gewinn in Millionenhöhe.Die Studie mit dem Titel «Trading on Terror?» wurde von Robert Jackson Jr., dem ehemaligen Leiter der Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission und heutigen Professor an der New York University, sowie Joshua Mitts, Professor für Rechtswissenschaften an der Columbia University und Experte für die Überwachung von Leerverkäufen an den Aktienmärkten, verfasst. Sie stellten fest:«Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Händler, die über die bevorstehenden Angriffe informiert waren, von diesen tragischen Ereignissen profitiert haben. Tage vor dem Angriff schienen die Händler die bevorstehenden Ereignisse zu antizipieren.»Die Studie habe ergeben, schreibt DeBrosse dazu, dass am 2. Oktober 2023 «fast 100 Prozent des außerbörslichen Handelsvolumens auf dem [israelischen Aktienmarkt] (...) aus Leerverkäufen bestand». Weder die Autoren des Berichts noch die Medienabteilungen der Universität in Kolumbien hätten auf Anfragen für Interviews reagiert.In einem Bericht von CNN vom 4. Dezember 2023 habe Jonathan Macey, Professor an der Yale Law School, die Ergebnisse gegenüber dem Nachrichtensender als «schockierend» bezeichnet. Es gebe starke Hinweise darauf, dass informierte Händler durch die Vorwegnahme des Terroranschlags vom 7. Oktober profitiert hätten, sagte Macey demnach. Die Aufsichtsbehörden seien anscheinend nicht in der Lage, die für diesen Handel verantwortlichen Stellen zu ermitteln, «was bedauerlich ist».DeBrosse verweist auf einen Artikel in Haaretz vom selben Tag, der spekuliert hatte, dass es Investoren mit Verbindungen zur Hamas waren, die ihr Geld abgezogen hatten, und nicht Israelis oder Pro-Israelis, auch wenn die Autoren des Artikels angaben, dass sie die Investoren nicht identifizieren konnten. Der Autor meint dazu:«Wenn die Leerverkäufer tatsächlich Verbindungen zur Hamas gehabt hätten, hätten die Israelis wahrscheinlich davon gewusst.»Er verwies darauf, dass laut einem New York Times-Bericht der israelische Geheimdienst seit mindestens 2015 die Finanzierung der Hamas verfolgt und dabei wegschaut. Kritiker seien der Meinung, dass die Strategie der israelischen Führung darin bestand, die Führung der Hamas im Gazastreifen gegen die begrenzte Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde über Teile des besetzten Westjordanlands zu stützen, damit die beiden Fraktionen das palästinensische Volk weiterhin spalten und einen vereinigten palästinensischen Staat verhindern würden. Zahlreiche Beteiligte und Augenzeugen behaupten sogar, dass Israels Geheimdienste aktiv zur Gründung und Finanzierung der Hamas beigetragen haben.Wer profitierte davon?US-Aufsichtsbehörden der Securities and Exchange Commission und der Wall Street haben laut DeBrosse dem Sender CNN mitgeteilt, dass es ihre Politik sei, keine Ermittlungen zu bestätigen oder zu dementieren. Die israelischen Aufsichtsbehörden hätten versprochen, die ungewöhnlichen Aktivitäten zu untersuchen, gaben jedoch nur einen Tag später bekannt, dass sie keine Beweise für Leerverkäufe gefunden hätten.Beamte der Tel Aviv Stock Exchange hätten die Studie «Trading on Terror?» als ungenau und unverantwortlich kritisiert und erklärt, dass eine Fehlberechnung der Währung durch die Autoren die potenziellen Leerverkaufsgewinne von etwa 9,5 Millionen Dollar auf knapp eine Milliarde Dollar aufgebläht habe. Ungeachtet der Fehlberechnung erklärten die Autoren der Studie gegenüber dem Portal Institutional Investor, dass sie an den Kernpunkten ihres Berichts festhalten würden.Yaniv Pagot, Leiter des Handels an der Börse in Tel Aviv, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, es sei unwahrscheinlich, dass mit der Hamas verbundene Investoren gegen die Sicherheitsvorschriften der Börse gegen «Geldwäsche oder Ähnliches» verstoßen hätten. DeBrosse schreibt:«Vielleicht war der Leerverkauf also das Werk israelischer oder pro-israelischer Investoren, die von israelischen Geheimdienstmitarbeitern oder politischen Führern einen Tipp erhalten hatten. Oder vielleicht waren auch israelische Beamte, die von dem bevorstehenden Angriff wussten, selbst die Leerverkäufer.Angesichts der Tatsache, dass Israel bisher systematisch fünf hochrangige militärische Führer der Hamas und elf Mitglieder ihres politischen Büros eliminiert hat und gerade in diesem Monat bei einem Militärschlag gegen den US-Verbündeten Katar versucht hat, weitere zu ermorden, dürfte es für die israelische Führung von hoher Priorität sein, herauszufinden, wer vom 7. Oktober profitiert hat.Oder – gemessen an der Zurückhaltung der israelischen Regierung, ihre eigene Rolle zu untersuchen – vielleicht auch nicht.»