Die gefilterte Welt: Nachrichtenagenturen und ihre geheime Macht

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Nachrichtenagenturen sind die unsichtbaren Großhändler der Information. Drei westliche Giganten filtern, framen und liefern den Großteil aller internationalen Meldungen. Ob Zeitung, TV oder Onlineportal: Fast überall lesen wir dieselben Nachrichten, dieselben Formulierungen, dieselbe Perspektive. Ein globales Machtmonopol, das vorgibt, neutral zu sein – und uns doch täglich an seiner medialen Leine führt.Von Guido GrandtNachrichtenagenturen spielen eine fundamentale Rolle im globalen Informationsfluss, da sie das Grundgerüst für die Berichterstattung vieler Medien weltweit bilden. Sie sind die „Großhändler“ der Nachrichten. Nachrichtenagenturen sammeln Informationen aus der ganzen Welt und von verschiedenen Quellen, sieben diese aus, verifizieren sie und verbreiten sie dann an ihre Kunden – meist andere Medienunternehmen wie Zeitungen, Radio- und Fernsehsender oder Onlineportale. Dieser Prozess ist hochgradig strukturiert und zielt darauf ab, scheinbar schnell, präzise und „objektiv“ zu sein.So werden Nachrichten „gesammelt“Nachfolgend nach dem „offiziellen Narrativ“ die wesentlichen Schritte und Kriterien, nach denen Nachrichtenagenturen Meldungen aussieben und verbreiten.Nachrichtengewinnung (Sammeln von Informationen):Korrespondentennetz: Nachrichtenagenturen verfügen über ein weltweites Netz von eigenen Korrespondenten, die aus verschiedenen Regionen und Ländern berichten. Dies ist ihre primäre Quelle für exklusive und tiefgehende Informationen.Freie Mitarbeiter (Stringer): Zusätzlich arbeiten sie mit freien Journalisten zusammen, die bei Bedarf zu spezifischen Ereignissen hinzugezogen werden.Amtliche Quellen: Sie ziehen Pressemitteilungen von Regierungen, Behörden, Unternehmen, Organisationen und Parteien heran.Soziale Medien und offene Quellen: Zunehmend werden auch soziale Medien und andere öffentlich zugängliche Informationen als Hinweise genutzt, die dann aber einer strengen Überprüfung unterzogen werden müssen.Partneragenturen: Internationale Agenturen tauschen oft Meldungen untereinander aus oder übernehmen sie von lokalen Partneragenturen.So werden Nachrichten „ausgesiebt“Nach dem Sammeln von Informationen kommt der eigentliche „Aussieb“-Prozess zum Tragen, der stark von Nachrichtenfaktoren und dem „Torwächter-Prinzip“ geprägt ist:Aktualität/Neuigkeitswert: Die schnellste Verfügbarkeit einer Information ist entscheidend. Nachrichtenagenturen arbeiten unter enormem Zeitdruck.Relevanz/Tragweite: Wichtige „Aussieb-Fragen“ sind dabei, wie viele Menschen von einem Ereignis betroffen sind. Welche Auswirkungen hat es auf Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft?Nähe: Geografische (Ereignisse im eigenen Land oder in der Region) und kulturelle Nähe (Themen, die für die eigene Gesellschaft relevant sind) spielen eine Rolle.Prominenz: Beteiligung von bekannten Persönlichkeiten, Institutionen oder Orten erhöht den Nachrichtenwert.Konflikt/Kontroverse: Auseinandersetzungen, Krisen, Skandale oder Meinungsverschiedenheiten sind oft nachrichtenwürdiger als harmonische Entwicklungen.Schaden/Katastrophe: Negative Ereignisse wie Unglücke, Kriminalität, Naturkatastrophen oder menschliches Leid haben einen hohen Nachrichtenwert.Ungewöhnlichkeit/Sensation: Ereignisse, die von der Norm abweichen oder überraschend sind.Faktizität/Verifizierbarkeit: Die Möglichkeit, Informationen schnell und zuverlässig zu überprüfen, ist entscheidend. Agenturen legen größten Wert auf die Richtigkeit ihrer Meldungen.Objektivität/Neutralität: Nachrichtenagenturen bemühen sich um eine neutrale, faktenbasierte Darstellung, da ihre Meldungen von Medien mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen genutzt werden. Sie liefern das „Rohmaterial“ für die weitere Verarbeitung.So werden Nachrichten „redaktionell bearbeitet“Schließlich kommt es zur redaktionellen Bearbeitung und Verifizierung von Nachrichten.Schnelle Prüfung: Eingehende Informationen werden umgehend auf ihre Glaubwürdigkeit und Relevanz geprüft.Verifizierung: Fakten werden mit mehreren Quellen abgeglichen. Bei Unsicherheiten wird die Meldung zurückgehalten oder mit einem entsprechenden Hinweis versehen.Formulierung: Die Meldungen werden prägnant, klar und objektiv formuliert, oft im sogenannten „Lead-Stil“ (die wichtigsten Informationen am Anfang).Verschlagwortung: Meldungen werden mit Stichworten versehen, damit Kunden sie leicht finden können.Redigieren: Texte werden auf Fehler überprüft und für die schnelle Weiterverarbeitung optimiert.So werden Nachrichten „verbreitet“Draht (Wire Service): Traditionell werden Meldungen über spezielle Leitungen oder digitale Übertragungswege (sogenannte „Drähte“) an die Abonnenten gesendet.Digitale Plattformen: Heute erfolgt die Verbreitung hauptsächlich über digitale Plattformen, die es den Kunden ermöglichen, Meldungen in Echtzeit abzurufen, zu filtern und in ihre eigenen Redaktionssysteme zu integrieren.Formate: Nachrichtenagenturen liefern nicht nur Texte, sondern auch Fotos, Grafiken, Videos und Audiobeiträge.Bekannte Nachrichtenagenturen (Beispiele)International: Associated Press (AP), Reuters, Agence France-Presse (AFP).Deutschland: Deutsche Presse-Agentur (dpa), Evangelischer Pressedienst (epd), Katholische Nachrichten-Agentur (KNA), Sport-Informations-Dienst (SID).Am Ende also sind es die Nachrichtenagenturen, die – abhängig von ihrer eigenen Weltsicht und Definition von Objektivität – festlegen, welche Informationen überhaupt als berichtenswert gelten. Damit bestimmen sie maßgeblich, welche Realität überhaupt bei uns ankommt.„Das Nachrichtenkartell“ – Agenturen diktieren, was wir über die Welt glauben sollenWas wäre, wenn ich Ihnen sage, dass fast alles, was Sie über die Welt wissen, von nur einer Handvoll westlicher Agenturen bestimmt wird? Dass Ihr tägliches Bild vom Weltgeschehen durch die Filter weniger westlicher Nachrichtenriesen läuft – ausgewählt, geframed und serviert, nicht wie es ist, sondern wie sie es Ihnen verkaufen wollen.So wird eine „gewünschte“ Sichtweise erzeugt „Geframed“ heißt in diesem Zusammenhang, eine Sache so zu präsentieren, dass sie eine bestimmte Eigenschaft (positiv, negativ, neutral) oder eine bestimmte Bedeutung erhält. Die Art der Darstellung lenkt die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte und blendet andere aus, um eine gewünschte Sichtweise zu erzeugen. Durch die Auswahl von Wörtern, Bildern, Betonungen oder Kontext wird versucht, die Meinung oder das Gefühl des Publikums zu steuern. In den Medien bedeutet dies: Eine politische Debatte kann „geframed“ werden, indem ein Medium ständig nur die Argumente einer Seite hervorhebt und die der Gegenseite ignoriert oder abwertet. Zum Beispiel könnte ein Politiker als „reformfreudig“ oder als „rücksichtslos“ geframed werden, je nachdem, welche Aspekte seiner Politik betont werden sollen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „geframed“ beschreibt, wie die Präsentation einer Information die Wahrnehmung und Interpretation durch das Publikum beeinflusst. Es ist ein wichtiges Konzept in der Kommunikationswissenschaft und im Journalismus.Willkommen also in der Realität einer Informationswelt, die uns täglich Objektivität verspricht – und uns dabei unbemerkt an ihrer medialen Leine führt.Das Nachrichten-KartellDie meisten internationalen Nachrichten, die wir online, im Fernsehen, im Radio oder in Zeitungen konsumieren, stammen im Kern von gerade einmal drei großen westlichen Nachrichtenagenturen: der amerikanischen Associated Press (AP) mit Sitz in New York, Thomson Reuters in New York und Toronto sowie der französischen Agence France-Presse (AFP) aus Paris. Für die Finanzwelt kommt eine weitere hinzu: Bloomberg aus New York, kontrolliert von Michael Bloomberg, Milliardär und ehemaliger Bürgermeister der Stadt.Diese drei Agenturen verfügen über weltweite Netze an Korrespondenten und sind in großen Teilen der Welt faktisch marktbeherrschend, was bedeutet: Sie entscheiden nicht nur, was wir vom Weltgeschehen erfahren – sondern auch wie wir es erfahren. Ihre Vorauswahl prägt unsere Wahrnehmung der globalen Realität.Andere Nachrichtenagenturen spielen dagegen kaum eine Rolle im internationalen Informationsfluss. Die staatliche russische TASS, die chinesische Xinhua und rund 140 weitere Agenturen erreichen nur einen Bruchteil der Reichweite der westlichen Platzhirsche. Damit liegt die Deutungshoheit über die Weltgeschehnisse in den Händen weniger westlicher Nachrichtenanbieter – und genau diese Macht wird in der öffentlichen Debatte bislang kaum hinterfragt.Nachrichten-Kartell führt zur international „identischen“ BerichterstattungDie Abhängigkeit von den globalen Nachrichtenagenturen hat weitreichende Folgen. Wie erwähnt, die einflussreichsten von ihnen sitzen allesamt in der westlichen Welt, sind eng miteinander verflochten und beherrschen den Markt nahezu monopolartig. Von Wien bis Washington übernehmen Medien nicht nur ihre Inhalte, sondern oft auch deren Formulierungen – mit dem Effekt, dass über internationale Ereignisse weltweit fast identisch berichtet wird. Deckungsgleich – und immer aus westlicher Perspektive.Dabei ist die innere Abhängigkeit nicht zu unterschätzen: Wer etwa bei Bloomberg über Proteste gegen den Milliardär und Eigentümer Michael Bloomberg berichtet, wird seine Worte wohl mit größter Vorsicht wählen oder gleich gar schweigen. Denn am Ende gilt auch hier: Wessen Brot ich ess’, dessen Lied ich sing’.Das Monopol der Nachrichtenagentur entscheidet über das, was zur Wahrheit wirdIm Endeffekt ist es ein unvorstellbares Machtmonopol: Drei westliche Nachrichtenagenturen entscheiden Tag für Tag, was für uns zur Wahrheit wird. Sie lenken den globalen Diskurs, formen unsere Sicht auf Kriege, Krisen und Katastrophen – und niemand hinterfragt diese Dominanz. Währenddessen schreiben Journalisten lieber vorsichtig, um ihre Brötchengeber nicht zu verärgern. So bleibt am Ende eine bittere Erkenntnis: Wir glauben, die Welt zu kennen. In Wahrheit kennen wir aber nur das, was uns diese wenigen Nachrichtenanbieter zu wissen erlauben.Quellen:https://kontrast.at/wie-arbeiten-nachrichtenagenturen/https://www.spiegel.de/extra/dpa-ap-und-co-wie-wir-mit-nachrichtenagenturen-arbeiten-a-1162092.html