Gefährliches Schweden?

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Bei einem Thema scheinen sich der alte Mainstream, die neuen alternativen Medien und deren Konsumenten einig zu sein. Selbst Menschen, die spätestens seit 2020 wissen müssten, wie sehr Meinungen manipuliert werden, wiederholen, was sie woanders aufschnappen – in Stockholm, Göteborg und Malmö «gibt es doch Ghettos, No-Go-Areas, kriminelle Banden. Ist es da nicht gefährlich?» Kurz vorweg: Der Alltag sieht komplett anders aus.«Wir wissen doch von England, dass Verbrechen durch Kameras nicht verhindert, sondern nur an andere Plätze verschoben werden», erklärt die Verkäuferin einer charmanten Café-Bäckerei in der Altstadt von Malmö. Ihr Chef habe mit der Polizei gesprochen, weil sich auch die Gäste an den Tischen auf dem Bürgersteig durch die Kameras gestört fühlten. Seit einigen Monaten investiert Schweden in den Ausbau der Videoüberwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen – mehr dazu auch in dem Transition News-Beitrag «Schweden und die Migration».Videokameras über einer Raucherzone auf dem Möllevångstorget in Malmö; alle Fotos: Sophia-Maria AntonulasIm Schlosspark von Malmö, mit 350.000 Einwohnern Schwedens drittgrößte Stadt, steht an einem Samstag ein kleiner Lastkraftwagen, auf dem groß «UAS» prangt. Auf der Ladefläche sind Monitore zu sehen und ein Polizist hantiert mit einem Joystick herum. Der zweite Beamte erklärt freundlich, dass sie mit einer Drohne die Fußballfans beobachten, die in der Altstadt vor dem Spiel ihren Durst löschen. UAS steht für Unmanned Air System – unbemanntes Fluggerät.Gescheiterte PolizeireformEnde Oktober dieses Jahres erschien der Rechnungshofbericht anlässlich zehn Jahre Polizeireform. 2015 wurden die 21 Landespolizeibehörden, das staatliche forensische Labor und das nationale Polizeipräsidium zu einer einzigen Behörde vereint. Die hehren Ziele der Umstrukturierung: Qualität, Kosteneffizienz und Flexibilität der Polizeiarbeit verbessern und die Ergebnisse steigern. Das vernichtende Fazit des schwedischen Rechnungshofs:«Seit 2015 sind die Polizeiausgaben um fast 93 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sind sowohl die Anzahl der aufgeklärten Verbrechen als auch der Prozentsatz der gefassten Täter zurückgegangen.»Die Polizeireform führte auch dazu, dass Spezialeinheiten, wie zum Beispiel zur Bekämpfung schwerer Drogenkriminalität, aufgelöst wurden.Drogenfrei?Seit 1988 verfolgt das offizielle Schweden das Ziel der drogenfreien Gesellschaft. Und seit 1993 wurde das Strafmaß für den Konsum verbotener Suchtmittel immer weiter erhöht. Konsumenten würden abgeschreckt und illegale Drogen verteuert – so die Theorie.Doch wie erfolgreich ist diese Kriminalisierung des Drogenkonsums in der Praxis? Die Autoren einer Studie, veröffentlicht im International Journal of Drug Policy, kommen zu folgendem Schluss: Die inflationsbereinigten Preise der drei häufigsten Drogenarten – Cannabis, Kokain und Amphetamin – sind seit Ende der 1980er Jahre, als der Eigenkonsum unter Strafe gestellt wurde, deutlich gesunken. Und es kam zu keinem messbaren Rückgang des Drogenkonsums. Die Polizei verwendet ihre gesteigerten Ressourcen für die Bekämpfung von leichten Vergehen wie Besitz und Eigenkonsum, anstatt schwere Delikte wie Drogenhandel zu verfolgen. Illegale Suchtmittel werden in allen gesellschaftlichen Schichten konsumiert, dagegen werden Polizeikontrollen, die in weiterer Folge zu Verfahren und Vorstrafen führen können, vor allem in einkommensschwachen Gegenden durchgeführt.Aber wie gefährlich ist Schweden denn nun? «In Schweden hat der Wettbewerb zwischen rivalisierenden Banden, die im Straßenhandel mit Cannabis tätig sind, zu einer Reihe gewalttätiger Auseinandersetzungen geführt», schreibt dazu EUDA, die Drogenbehörde der EU. Tatsache ist auch, dass in dem skandinavischen Land mit einer Bevölkerung von 10,5 Millionen mehr Morde mit Schusswaffen durchgeführt werden, als in andern EU-Staaten. Im Jahr 2024 starben in Schweden 45 Menschen durch Schusswaffen, 25 durch Messer und 22 auf andere Art und Weise. 2023 lag die durchschnittliche Mordrate bei rund 1,15, der EU-Durchschnitt bei 0,91 Mordopfern pro 100.000 Einwohner.Schusswaffen kommen auch deswegen vermehrt zum Einsatz, weil immer jüngere Teenager beziehungsweise Kinder von kriminellen Gruppierungen rekrutiert werden und es Kindern leichter fällt, eine Schusswaffe als ein Messer zu ziehen. Sowohl Täter als auch Opfer stammen aus «sozioökonomisch benachteiligten» Milieus, gekennzeichnet durch weniger Schulbildung, mehr Arbeitslosigkeit, weniger Einkommen und unzureichenden Lebensstandard, wie es in einem Bericht der schwedischen Behörde für Kriminalprävention heißt.Jüngster Lösungsvorschlag der konservativen Regierung: die Strafmündigkeit von 15 auf 13 Jahre senken. Dabei kritisieren selbst Staatsanwaltschaften und Gerichte, dass die Kriminalpolitik der vergangenen Jahre dazu geführt habe, dass vermehrt immer jüngerer Kinder für schwere Straftaten rekrutiert werden.Die erhöhte Berichterstattung über die sogenannte Bandenkriminalität scheint jedenfalls dazu zu dienen, in Schweden alle möglichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen, Gefängnisneubauten sowie -erweiterungen und Strafverschärfungen durchzusetzen – Regierungsmitglieder denken auch laut über eine Altersbeschränkung für die Benutzung von sozialen Medien und eine generelle digitale Überwachung nach.Ein längerer Spaziergang durch Malmö zeigt, dass Videokameras vor allem in Gegenden eingesetzt werden, wo das Einkommen der Bewohner niedrig ist. Die Überwachungskamera vor der kleinen Café-Bäckerei in der Altstadt hat die Polizei wieder abgebaut.