Immer mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr mitfinanzieren. Das müssen sie bisher durch die als «Rundfunkbeitrag» bezeichnete Zwangsabgabe je Haushalt, der ein Empfangsgerät für Radio, TV oder Internet hat, egal, ob das genutzt wird oder nicht. Der Anteil derjenigen, die das verweigern, steigt – nach offiziellen Angaben derzeit rund acht Prozent der etwa 39 Millionen beitragspflichtigen Haushalte mit TV-Empfang.Durch jene, die zahlen, haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 2024 einen Gesamtbetrag von mehr als acht Milliarden Euro eingenommen. Doch das reicht ihnen nicht, weshalb der Rundfunkbeitrag (derzeit 18,36 Euro monatlich) weiter steigen soll. Die Politik tritt dabei derzeit noch auf die Bremse.Der Widerstand aus der Bevölkerung nimmt zu: Eine Frau aus dem Landkreis Rosenheim in Bayern hatte gegen den Rundfunkbeitrag wegen «mangelnder Programmvielfalt» und eines «generellen strukturellen Versagens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks» geklagt. Damit war sie 2024 noch beim Verwaltungsgericht München und beim Bayrischen Verwaltungsgerichtshof gescheitert. Doch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte die Revision des Falls zugelassen und will nun im Oktober darüber entscheiden, ob der Rundfunkbeitrag nicht gezahlt werden muss, wenn das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegen das Gebot der Vielfaltssicherung verstößt.Das Urteil hat Folgen für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, wie der Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen am Dienstag in Berlin erklärte. Er stellte im «Sprechsaal» in Berlin-Mitte sein neues Buch über den «Staatsfunk» vor. Darin beschreibt er, wie der öffentliche-rechtliche Rundfunk neu erfunden werden müsste – oder eben gleich als Staatsfunk aufgebaut werden sollte, weil das ehrlicher wäre.Meyen fordert ein Ende des Etikettenschwindels, denn «ARD & Co. sind am Ende», wie er im Untertitel des Buches feststellt, auch weil sie längst in den Händen der Politik sind. Das waren sie schon immer, wie er nachweist. Das werde aber bis heute mit dem Märchen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der den Bürgern als Gebührenzahler und Mediennutzer gehört, erfolgreich überdeckt.Der in Bayern lebende Kommunikationswissenschaftler wurde mit seinen unangepassten Sichten zum Zielobjekt der selbsternannten Wächter über die richtige Meinung. Er stellt in seinem Buch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine schonungslose Diagnose und eine ebensolche Prognose – nämlich, dass er nur als Staatsfunk eine Zukunft hat. Mit seinem Buch will er die Debatte um die Zukunft von ARD & Co. eingreifen, die derzeit an Fahrt aufnimmt, nachdem sie eigentlich schon seit Jahren läuft.Aufklärung statt MärcherzählungDiagnose und Prognose begründet Meyen mit Fakten und Daten, mit Zusammenhängen und Hintergründen, die er belegt. Dazu kommen seine eigenen Erfahrungen als Journalist und Ergebnisse seiner Arbeit als Kommunikationswissenschaftler. Zu seinen Erkenntnissen, die er bei der Buchvorstellung wiedergab, gehört zum einen diese:«Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört allen – das ist ein Märchen.»Die andere, die er als wichtigste Botschaft seines Buches benannte, lautet:«Die Propaganda beginnt mit der Verpackung.»Mit letzterem Satz beginnt das mit 80 Seiten eher dünne, aber umso gehaltvollere Werk. Aus diesem stellte er grundlegende Aussagen und Passagen vor. In dem Buch stellt er auch klar:«Die Verpackung ist Propaganda – bei mir ein Wort, das alle Versuche staatlicher Stellen beschreibt, die Stimmung im Land zu manipulieren.»Das treffe auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen angeblichen Daseinszweck zu, für den die Bundesbürger zwangsweise den sogenannten Rundfunkbeitrag zahlen müssen. Die propagandistische Verpackung bestehe im konkreten Fall aus drei Teilen, erläuterte er seinen Zuhörern:«Man erzählt uns erstens, der Journalismus könne objektiv neutral und unabhängig sein, behauptet zweitens, er sei so etwas wie eine Vierte Gewalt, ein Kritiker, Kontrolleur, Gegenspieler der Macht, und drittens, der stärkste Teil in diesem Märchen: Der Rundfunk gehört uns hier im Raum. Das ist unser Rundfunk, der unsere Interessen vertritt, unsere Themen artikuliert und damit der Politik signalisiert, was sie zu tun hat.»Diese drei Propagandathesen würden im Zusammenspiel in Westdeutschland seit 1945 und nun in der gesamten Bundesrepublik die Sicht auf den tatsächlichen Zugriff des Staates auf die Medien, nicht nur die öffentlich-rechtlichen, erschweren. Dazu habe die politische Bildung mit ihren Erklärungen, welche Aufgabe der Journalismus habe, beigetragen, stellte der Kommunikationswissenschaftler fest. Doch in Wirklichkeit hätten sich Militär, Staat und großes Kapital spätestens mit der Erfindung des Radios in den 1920er Jahren den Zugriff auf die Medien gesichert und nie wieder gelockert.Konformität statt UnabhängigkeitIn seinem Buch beschreibt er unter anderem, wie die «gewaltigen Geldtöpfe» im öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem korrumpieren. Dazu kommt ein ausgeklügeltes System von Abhängigkeiten und Unsicherheiten, die Konformität erzwingen.Der Kommunikationshistoriker nannte drei Hebel, die dabei eingesetzt werden: Zum ersten das System der Aufsicht durch Programmbeiräte und Verwaltungsräte bei den Sendern. Der zweite Hebel sei die Hierarchie mit ihrem verschachtelten System, das vor allem Misstrauen innerhalb der Sender und Redaktionen hervorbringe. Das Geld sei der dritte Hebel, der den Anstalten gewissermaßen maßlos und unkontrolliert zur Verfügung stehe.Prof. Michael Meyen am 16. September im Berliner «Sprechsaal»; Foto: Tilo Gräser)Der Autor las am Dienstag zwei Textpassagen aus seinem neuen Buch. In der ersten ging es um die moderne Mediengeschichte und deren «lange Linien», die zeigen, warum die Erzählung vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur ein Märchen ist:«Radio und Fernsehen haben drei Eltern – das Militär, den Staat und das große Kapital. Wie im richtigen Leben bleibt dieses Trio im Hintergrund, seit das Kind aus dem Gröbsten heraus ist, aber im Zweifel gilt auch hier: Blut ist dicker als Wasser.»Mit einem Zitat aus dem Buch «The Brass Check» (deutsch: «Der Sündenlohn») von Upton Sinclair aus dem Jahr 1919 über den US-Journalismus verwies Meyen auf die entscheidende Rolle des Kapitals:«Journalismus ist eines der Mittel, womit die industrielle Autokratie ihre Kontrolle über die politische Demokratie aufrechterhält; es ist die tagtägliche Propaganda, wodurch das Volk in einem Zustand der Ruhe und der Ergebung gehalten wird …»Der Kommunikationswissenschaftler zitierte eine weitere Aussage von Sinclair:«Gerechtigkeit und Wahrheit von einer kapitalistischen Zeitung erwarten, heißt Askese bei einem Kannibalenfest verlangen.»Im Kapitel über «Lange Linien» beschreibt Meyen, wie in Deutschland frühzeitig Militär und Staat sich den Zugriff auf das neue Medium Radio sicherten. Das wurde von den deutschen Faschisten perfektioniert – und nach 1945 nicht grundlegend geändert, denn, so der Autor:«Warum sollten diese Politiker ein Instrument aus der Hand geben, von dem ihre Vorgänger sichtbar profitiert hatten?»In den weiteren Kapiteln des Buches zeigt er, «über welche Hebel der lange Arm der Politik bis heute die Programme regiert, obwohl es weder Propagandaminister gibt noch Rundfunk-Kommissare». Von Anfang sei das durch die Illusion der Mitbestimmung über verschiedene Gremien vertuscht worden, erklärte er bei der Buchvorstellung. Der Rundfunk sei zur «Spielwiese der Politik» gemacht worden.Meyen verwies auf die Studie «Im öffentlichen Auftrag» der IG Metall-nahen Otto-Brenner-Stiftung über die Zusammensetzung und Arbeitsweise der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgremien, die in diesem Jahr veröffentlicht wurde. Darin wird offengelegt, wie hoch der direkte und indirekte Einfluss der Parteien auf die Gremien ist – was prompt zu Druck auf Autor und Auftraggeber der Studie führte, wie Meyen berichtete. Zu den im Februar dieses Jahres veröffentlichten Ergebnissen gehört:«Für mindestens 41 Prozent der Rundfunkrats- und 53 Prozent der Verwaltungsratsmitglieder aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland lässt sich eine Parteizugehörigkeit nachweisen. Mit der Entsendung ehemaliger Minister*innen und anderer Parteiangehöriger unterläuft die Politik die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts von 2014, dass maximal ein Drittel der Mitglieder der Aufsichtsgremien staatlich oder staatsnah sein dürfen.»Das zählt zu den Beispielen, mit denen der Autor belegt, warum der Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems unhaltbar geworden ist. Dieses erfülle seit langem nicht mehr seinen Auftrag nach Paragraph 26 des Medienstaatsvertrages, nämlich «durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen».Regierungslautsprecher statt ProgrammauftragIn Berlin benannte er die Mechanismen, die den Zustand bewirken. Zu denen gehört, dass zwei von drei Programmachern in den öffentlich-rechtlichen Sendern ohne ordentliche Absicherung arbeiten, während es gleichzeitig wenige hochbezahlte Chefredakteure, Vorzeigemoderatoren und Senderfunktionäre gebe. Ein hoher Konformitätsdruck in den Redaktionen führe zu einem Klima des Misstrauens und des gegenseitigen Belauerns sowie des Mobbings, so der Kommunikationswissenschaftler.Im Buch beschreibt er unter anderem, wie gerade die öffentlich-rechtlichen Sender, ihre Redaktionen und Journalisten in der politisch verursachten Corona-Krise versagten und verweigerten, ihren gesetzlichen Programmauftrag zu erfüllen. Stattdessen habe es «so gut wie keine Kritik an der Regierung» gegeben und es sei eine «Gesellschaft in der Krise» präsentiert worden «sowie ein Journalismus, der im Gleichschritt mit der Politik marschiert». Das zeige sich auch bei dem Krieg in der Ukraine, stellte Meyen fest:«Tagesschau und heute waren nicht ausgewogen oder gar neutral, sondern Partei – für Wirtschaftssanktionen gegen Russland, für eine militärische Unterstützung der Ukraine, für die Lieferung schwerer Waffen und gegen jede Diplomatie.»Was er dazu aus einer anderen Studie der Otto-Brenner-Stiftung über die öffentlich-rechtlichen Medien im Jahr 2022 zitiert, gilt bis heute. Den Befund, dass mit dem Programmauftrag zwar die Forderung nach einem noch höheren Rundfunkbeitrag und damit noch mehr Geld für die Sender begründet wird, dieser aber gar nicht erfüllt wird, belegt Meyen mit weiteren Beispielen.Zukunft statt UntergangEr gab am Dienstag auch einen Einblick darin, wie er sich die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Systems vorstellt. Das beschreibt er im Buch im letzten Kapitel, aus dem er Passagen vorlas. Würde er zu den entscheidenden Politikern gehören, hätte er zwei Optionen:«Weiter, weiter ins Verderben – oder den Schleier lüften und mich zum Modell Staatsfunk bekennen. Schluss mit dem Märchen vom Rundfunk, der allen gehört, von Vertretern des Volkes kontrolliert wird und deshalb von jedem bezahlt werden muss.»Meyen verwies auch bei der Buchvorstellung darauf, dass weltweit der Staatsfunk das übliche Modell ist und sich auch in Westeuropa der Trend dahin zeige. In seinem Buch stellt er fest:«Jede Reformidee läuft ins Leere, wenn sie nicht das politische System mitdenkt und auch dort mit der Verpackung anfängt – mit den Erzählungen, die die Herrschaftsverhältnisse schützen und verschleiern.»Meyen hat einen eigenen «Traum» von der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der beruht zum einen auf seinen Erfahrungen und Beobachtungen als junger Journalistikstudent in der Endzeit der DDR 1989/90 mit ihren Aufbrüchen, neuen Freiheiten und Anarchien. Der zum anderen aus klaren Vorstellungen über Finanzierung und Strukturen besteht für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk – «der sich auf Journalismus konzentriert und auf den Auftrag Öffentlichkeit», der «alle Themen, die die Menschen umtreiben, und alle Perspektiven» aufgreift und die «große Politik» genauso einschließt wie das, was vor Ort im Leben der Menschen geschieht.Wer es genauer wissen möchte, wie der Autor sich das vorstellt, dem ist die Lektüre des kleinen Buches über ein großes Thema zu empfehlen, das am 22. September in den Buchhandel kommt. Es handelt sich um den Abschluss einer ungeplanten Trilogie, wie der Autor erklärte: Dazu gehören die Bücher «Cancel Culture» (2024) und «Der dressierte Nachwuchs» (2024) aus dem gleichen Verlag Hintergrund Berlin.Buchtipp:Michael Meyen: „Staatsfunk – ARD & Co. sind am Ende – oder müssen neu erfunden werden“Verlag Hintergrund Berlin 2025, Reihe „Wissen Kompakt“. 80 Seiten; ISBN 978-3-910568-25-9; 10,90 Euro