Rundfunk vor Gericht

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Am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig läuft morgen die mündliche Verhandlung im Revisionsverfahren um die Rundfunkbeitragspflicht.Text: Beate Strehlitz und Dieter KorbelyDas Verfahren geht auf eine bayrische Klägerin zurück. Die Frau aus Rosenheim hatte gegen die Zahlung des Rundfunkbeitrags geklagt. Sie rügte ein generelles strukturelles Versagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR), insbesondere die mangelnde Programm- und Meinungsvielfalt, und argumentierte, dass sie daher von der Rundfunkbeitragspflicht zu entbinden sei. Das Verwaltungsgericht München wies die Klage ab. Die Gerichte seien nicht befugt, die Programmgestaltung oder Vielfalt des ÖRR zu prüfen; dies sei Aufgabe der plural besetzten Aufsichtsgremien (zum Beispiel der Rundfunkräte) und nicht der Gerichte. Subjektive Unzufriedenheit oder Programmkritik würden keine Befreiung von der Beitragspflicht rechtfertigen. Die Klägerin ging in die Berufung vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Dieser bestätigte die Entscheidung mit der Begründung, der Rundfunkbeitrag diene als Gegenleistung für die Möglichkeit, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen, unabhängig von Qualität oder Vielfalt des Programms. Grundgesetzartikel 5, der die Programmfreiheit garantiert, setze institutionelle Unabhängigkeit voraus. Die Inhalte dürften nicht gerichtlich überprüft werden, sondern ausschließlich über die zuständigen Gremien.Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision überraschend zugelassen (Aktenzeichen: BVerwG 6 C 5.24). Es vertritt die Ansicht, dass die Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung habe. Insbesondere steht in Frage, ob ein Bürger gegen die Beitragspflicht Einwände erheben kann, wenn der ÖRR seinem gesetzlichen Vielfaltsauftrag strukturell nicht gerecht wird. Könnte es sein, dass das BVerwG damit auf den zunehmenden Druck der unzufriedenen Bürger mit der Beitragspflicht und der Arbeitsweise des ÖRR reagiert?Programmbeschwerden statt Klagen?Die Klägerin folgt dem Rat der Bürgerinitiative Leuchtturm ARD. Gründer Jimmy Gerum ermunterte sie, den Weg durch alle Instanzen zu gehen. Die Leuchtturm-Initiative betreut seit zwei Jahren bundesweit rund 200 Kläger gegen die Rundfunkbeitragspflicht. Bislang sind jedoch sämtliche Versuche, die Beitragspflicht für ARD, ZDF und Deutschlandradio auf juristischem Wege infrage zu stellen, gerichtlich abgeschmettert worden. Wenn ein Beitragszahler Zweifel an Vielfalt, Objektivität und Unparteilichkeit der Programme hege, so stehe ihm der Weg einer Programmbeschwerde bei den Aufsichtsgremien frei, so der Tenor der Gerichte.Die ehemaligen NDR-Mitarbeiter Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer haben seit 2014 mehr als 400 Programmbeschwerden eingereicht, die insbesondere die Tagesschau betrafen. Alle wurden abgelehnt, so dass beide schließlich damit aufgehört haben. Der Verein Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien unter Leitung von Maren Müller hat ebenfalls viel Erfahrung mit Programmbeschwerden. Auf der Vereins-Webseite sind die eigenen sowie eine Sammlung von externen Beschwerden aufgeführt. Es ist die absolute Ausnahme, wenn einer Programmbeschwerde Recht gegeben wird. Und selbst dann erfolgt nicht zwangsläufig eine Korrektur im Programm. Wir haben selbst eine von 64 Programmbeschwerden beim MDR-Rundfunkrat eingereicht, die einen Beitrag des Magazins Umschau vom 12. Dezember 2023 betrafen. Bei uns ging es um die Depublikation des Beitrags, der wegen angeblicher Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht kurz nach der Veröffentlichung aus der Mediathek genommen worden war. Obwohl der Rundfunkrat feststellte, dass die journalistische Sorgfaltspflicht nicht verletzt worden sei, blieb der Beitrag bis heute depubliziert. Im Antwortschreiben auf unsere Beschwerde wird ausgeführt, dass der Rundfunkrat nicht in die operative Führung der Rundfunkanstalt eingreifen und so auch keine Wiederveröffentlichung anordnen könne. Wenn das Kontrollorgan nur eine beratende Funktion hat, aber keine Weisungsbefugnis, liegt dann ein struktureller Fehler vor?Wir haben über mehrere Jahre die Rundfunkratssitzungen des MDR besucht und uns ein Bild von seiner Arbeit gemacht. Bezeichnend fanden wir die Mahnung des im März 2024 scheidenden Rundfunkratsvorsitzenden Dietrich Bauer in seinen Abschiedsworten, die Rundfunkratsmitglieder benötigten eine medienpolitische Fortbildung. Er verwies auf die bescheidenen Mittel des Rundfunkrates, dessen Gremienbüro nur drei Mitarbeiter hat. Dagegen verfügt die Führungsetage des MDR über acht Direktoren nebst Referenten. Die magere Ausstattung des Kontrollgremiums könnte die Prüfung von Programmgestaltung und Vielfalt, die die Gerichte einfordern, unmöglich machen. Wir hatten den Eindruck, dass nur wenige der 50 Rundfunkratsmitglieder sehr gute medienpolitische Kenntnisse hatten. Die Diskussionen wurden hauptsächlich von diesen Mitgliedern getragen. Eine ganze Reihe der Räte meldete sich nie zu Wort. Unklar ist auch die Parteizugehörigkeit, die auf der Webseite nicht vermerkt ist. Aus einer aktuellen Studie ist bekannt, dass einige Mitglieder zwar für Verbände und Organisationen im Rundfunkrat sitzen, aber ebenfalls ein Parteibuch haben. Hier fehlt Transparenz. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seinem Urteil vom 25. März 2014 zum Gebot der Staatsferne im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefordert, dass „der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder“ in den Aufsichtsgremien ein Drittel nicht übersteigen darf (Aktenzeichen 1 BvF 1/11). Dem interessierten Rundfunkbeitragszahler wird es schwer gemacht, das zu überprüfen. Fehlende Transparenz hat der MDR-Rundfunkrat auch selbst zu verantworten, als er am 29. Januar 2024 mehrheitlich gegen die Live-Übertragung der Sitzungen stimmte. Für weiter weg wohnende Gebührenzahler wäre es wesentlich einfacher, wenn sie die Sitzungen über einen Livestream verfolgen könnten. Warum möchte sich der Rundfunkrat nicht den interessierten Bürgern öffnen?Unzufriedenheit der GebührenzahlerDie Zahl der unzufriedenen Gebührenzahler wächst stetig. Bemängelt werden vor allem die Einseitigkeit der Berichterstattung, mangelnde Transparenz und Kontrolle, Gebührenverschwendung und der Zwang zur Zahlung. Der gesellschaftlicher Dialog über die Legitimität der Gebühren lässt sich nicht mehr übersehen. Aus dem Beitragsservice-Jahresbericht für 2024 geht hervor, dass mehr als 3,7 der fast 47 Millionen Beitragskonten in Mahnverfahren oder in der Vollstreckung sind.Das ist auch ein Ergebnis der Arbeit der Bürgerinitiative Leuchtturm ARD, die sich seit 2022 für die Einhaltung des Programmauftrages sowie für Multipolarität, Ausgewogenheit und Staatsferne einsetzt und dafür auch die Beitragspflicht erhalten möchte. Das erste Ziel bei der Gründung war eine weiträumige Zahlungsverweigerung, um ein Zeichen für die tiefgreifende Unzufriedenheit zu setzen und darüber in einen Dialog mit den Sendeanstalten zu kommen. Begleitend werden bis heute wöchentliche Mahnwachen vor Sendeanstalten und Funkhäusern abgehalten. Punktuell gab es Erfolge in Form von Dialogangeboten seitens der Redaktionen, aber in einem sehr geringen Maße.Leuchtturm-Gründer Jimmy Gerum hat mit einem „Forum konstruktive ÖRR-Reform“ eine große Gruppe prominenter Unterstützer versammelt. Weitere Plattformen bieten die Möglichkeit, seiner Unzufriedenheit mit der Arbeit der öffentlich-rechtlichen Medien Ausdruck zu verleihen. Die initiative Rundfunkfrei möchte zum Beispiel mit dem Instrument der Volksabstimmung die Daseinsberechtigung des ÖRR hinterfragen. Das Portal Beitragsblocker bietet an, bei Widerspruchsverfahren gegen die Beitragspflicht zu helfen. Die Seite Rundfunkalarm erleichtert Programmbeschwerden. Viele solcher Initiativen haben sich im Verein Bund der Rundfunkbeitragszahler zusammengeschlossen. Kritik am ÖRR kommt aber auch aus den Kreisen der Mitarbeiter. Auf dem Portal meinungsvielfalt.jetzt melden sich viele, zumeist anonyme Stimmen aus den Sendern zu Wort, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. In einem Manifest nennen sie Kritikpunkte und machen Erneuerungsvorschläge.Bedeutung des Leipziger VerfahrensDas Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht könnte eine rechtliche Neuerung in die Wege leiten, die Einzelpersonen den Klageweg über strukturelle Mängel im ÖRR eröffnet, die zu einer Nichteinhaltung des Medienstaatsvertrages führen. Es steht nichts weniger als die Frage im Raum, ob zwischen Bürger und Anstalt ein Vertrag oder Leistungspflicht-Verhältnis besteht. Dass diese Frage erstmals rechtlich betrachtet wird, ist ein sehr großer Schritt vorwärts – nach den unzähligen Klage-Abweisungen. Zur Verhandlung werden in Leipzig viele Besucher erwartet, denn es könnte Geschichte geschrieben werden. Das Verfahren könnte der erste Schritt auf dem Weg zu einem neuen ÖRR sein, begleitet von einer breiten gesellschaftlichen Debatte.Eine kürzere Version des Textes ist am 26. September in der Berliner Zeitung erschienen.Beate Strehlitz ist promovierte Diplomingenieurin in Rente und hat 33 Jahre als Wissenschaftlerin in einem Forschungszentrum gearbeitet. Dieter Korbely ist Diplomingenieur in Rente und hat lange Jahre bei einem großen Automobilhersteller gearbeitet. Beide setzen sich seit 2019 für die Reform der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ein. Fördermitglied werden